Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt. Tageblatt Annaberger Wochenblatt. Hauptzeitung des Obererzgebirges. Nr. 50 / 132. Jahrgang. 11. Dezember 1938. S. 6 – 7.
Der Schulhausmeister.
An den Nordrand stundenweiter Wälder des Fichtelberges schmiegt sich Markersbach an. Von seinem unter Heimatschutz stehenden Kirchlein glockt es gerade 10 Uhr, als uns aus dem Heizkeller der Schule deren Hausmeister in blauer Leinenjacke entgegenkommt und die kohlenbeschmierten Hände zum Gruß hinhält. Ehe sie die Pausen läuteten, den Schulhof kehrten und die Heizung versorgten, waren sie in einer autogenischen Schweißerei tätig. Sie sind also vielerlei und schwere Arbeit gewöhnt. Man traut ihnen kaum zu, daß sie den einfachen Bernhard Schönfelder in Mußestunden zum Volkskünstler werden ließen. Seit sechs Jahren nämlich schnitzt er. Und wie! Wie er dazu gekommen ist? Zeichnen war sein Lieblingsfach in der Raschauer Volksschule, wo er geboren ist. Begonnen hat er, weil seine Frau gern zur Weihnacht eine Pyramide haben wollte. „Die Hirsche, die ich mir dazu kaufte, sahen aus wie Karnickel!“ meint er drastisch. „Da hab‘ ich gedacht, so bringst du sie auch!“ Und siehe, es ging wunderbar. Natürlich hat die Familie Schnitzerblut in ihren Adern. Auch der Schwager drüben in Elterlein, tagsüber als Schlosser beschäftigt, schnitzt nach Feierabend gern. Nun hat Bernhard Schönfelder schon eine schöne Schau seines künstlerischen Zeitvertreibs beieinander. Alle seine „Erstlinge“ hat er noch da, einen Waldmann und einen Obersteiger und wenn die Kamele der Weisen aus dem Orient auch falsche Beinstellung haben, so sind sie doch ausgezeichnete Werke künstlerischen Nachbildungseifers. Der Schulhausmeister bekennt, daß die Feierohmd-Schau in Schwarzenberg ungemein anregend auf ihn gewirkt habe. Er sah dort Figuren, die er sich so einprägte, daß er daheim in stiller Abendstunde ein Stück Lindenholz nahm und aus dem Gedächtnis nachschnitzte.
Der Malergehilfe.
Noch eben standen wir vorm Mönchsgesicht, dem Schlettauer Wahrzeichen an der Mauer der St. Ulrichskirche, sehen in einer Gaststätte die wichtigsten Begebenheiten aus der Stadtgeschichte in meisterlicher Form geschnitzt auf Leuchterarmen und erfahren, daß ein — Malergehilfe der Künstler ist. Er hat Maschinenschnitzer gelernt und ist jetzt mit Pinseln aller Größen auf der Leiter tätig. Nun sitzen wir in seiner Stube. Am Fenster, das hinausschaut zum Gäßchen „Nach den Heiden“ liegen die vielen Schnitzmesser, fein säuberlich geordnet. Er schnitzt leidenschaftlich gern. Die Feierohmd-Schau brachte ihm die ersten bedeutenden öffentlichen Erfolge. Und nun? Will er gar den Malerkittel an den Nagel hängen und mit Schnitzen sein Brot verdienen. Sein „Abt auf der Saujagd“ ist wundervoll. In des Wilddiebs Gesicht ist die lauernde Verschlagenheit eingeschnitzt. Der Pilzsucher schaut uns lachend an. Eine ganze Reihe eigner Entwürfe sind sehr originell; die „Räucherzwerge“ sind seine Idee. Künstler ist hier wahrlich nicht zu viel gesagt. Er hat einen skatspielenden Oberlehrer im Städtchen nach Gedanken so in Holz gestaltet, daß der Nachgebildete vor Ergriffenheit geweint hat wie ein Kind. So geht zuzeiten die erzgebirgische Volks- und Schnitzkunst zu Herzen! —
Der Maurer.
Versteckt steht ein Fachwerkhäusel in Mauersberg, östlich von Annaberg über dem Preßnitztale. Gleich beim Betreten der Stube blickt uns die Kunst des Maurers Ewald Richter an. Eine Christusgestalt hält segnend die Hände über einen Prachthirsch, den der Feierabend-Schnitzer gerade in Arbeit hat. Beide Figuren sind ohne Tadel. Bescheiden plaudert die Frau des Maurers mit uns. Die Leute tun, als ob das alles weiter garnichts sei. Sie schnitzt, soweit es die Hauswirtschaft zuläßt, an der Fußstrickmaschine und fertigt Socken. Aber gegen 18 Uhr wird Leben im Häusel. Der Mann kommt nach schwerer Bauarbeit aus Annaberg heim, ein Sohn und die Tochter aus einer Wolkensteiner Knopffabrik und der andere Junge, der Schlosser, aus Zschopau. Hat sich der erste Sturm gelegt und sind alle vom Tisch gesättigt aufgestanden, dann greift der 45jährige Maurer zum Schnitzmesser. Jeden Mittwoch aber geht er ins Schnitzerheim zu seinesgleichen. Dort fühlt er sich genau so wohl wie daheim in seinem stillen Stubenwinkel. „Bilder aus Zeitungen und Zeitschriften sammelt er in Mengen“ bedeutet uns seine Frau. Aus ihnen schöpft er manches Motiv. Ehe wir, froh des köstlichen Erlebnisses im kleinen Mauersberger Häusel, wieder davongehen, bringt die Frau eine Schnitzerei, die ihr Mann seit einigen Wochen unter den Messern hat. Es ist eine ganz wunderschöne Sache. Auf einem Zaun sitzt ein unbekümmerter Landstreicher. Er hat sein Bündel abgelegt und läßt Marionetten in seinen Händen hüpfen und spielen. Das Gesicht, das er dazu macht, ist nicht zu beschreiben . . . In ihm liegt von dem reichen Gemüt des schnitzenden Maurers und Künstlers!
Der Postagent.
In Großrückerswalde, wo er wohnt, nennen sie den Eugen Oettel einfach den Post-Eugen. Am 8. Februar 1894 ist er geboren. Er hat Zimmermann gelernt. Ab 1913 diente er bei den 13. Jägern. Mit denen ging er an die Westfront. Am 11. März 1915 verlor er an der Lorettohöhe fast den ganzen rechten Arm. Am 14. März wurde er in Douai amputiert. Erzgebirgische Zähigkeit ließ ihn schon acht Tage später linkshändig die erste Karte an die besorgten Eltern schreiben. Aber er hat noch weit mehr Beharrlichkeit und Energie bewiesen. Sieben Jahre lang hat er Uebergangswärter bei der Reichsbahn in Wolkenstein gemacht, seit 1. April 1924 führt er die Postagentur in Großrückerswalde, und seit 1921 hat er begonnen, linkshändig zu — schnitzen und zu basteln. Sein Bergaufzug ist sehenswert. Er ist das eindeutige Meisterstück eines einarmigen Schnitzers, der alle Kraft und Liebe in seine Arbeit vereint hat. „Ja, die Franzosen haben mir viel genommen, aber den Humor konnten sie mir nicht rauben!“ Es ist ihm eine förmliche Leidenschaft für das geliebte Schnitzmesser entstanden. Er hat den Schnitz- und Bergbauverein im Dorfe gegründet, dafür gesorgt, daß ein gemütliches Schnitzerheim entstand und freut sich mit seinen 32 Kameraden königlich auf jeden Bastelabend. Bis zum Heumachen halten sie ihre Zusammenkünfte allwöchentlich ab, „dann aber wirds höchste Zeit, daß wir aufhören!“ Den großen Holzblock klemmt er zwischen die Knie und gegen die Tischkante. Begeisterung läßt die gesunde linke Hand rüstig schaffen. Und sind Feinheiten herauszuarbeiten, dann legt er der Post-Eugen, der übrigens vor dem Kriege einer der besten Geräteturner im Dorfe war, die Figur auf den Tisch, hält sie mit dem rechten Armstumpf fest und schnitzt den Gesichtern seiner Werke ausdrucksvolle Züge ein, die wir bewundern müssen. Jetzt versucht er‘s mit einem kapitalen Hirsch. Es ist nicht zu bezweifeln, daß der Einarmige auch diese sich selbst gestellte Aufgabe meistert . . .
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Diese Nebenbei-Künstler schaffen in unserm Erzgebirge — auf sächsischer und auch auf sudetendeutscher Seite — im Verborgenen. Deshalb ist ihre Kunst nicht minder wertvoll. Was sie schnitzen, sind alles volkstümliche Kunstwerke, der äußerlichen und der innersten Heimat abgeschaut und abgesonnen und trächtig von Liebe dieser Menschen zu ihrem stillen künstlerischen Schaffen. Sie kennen kein „Atelier“. Oft sind sie arm und leben in sehr bescheidenen Verhältnissen.
Vom großen Leben empfangen sie kaum einen Anreiz zur Arbeit am toten Holz. Heimat allein ist‘s, die das Holz lebendig werden läßt. Ihre schöne Wald- und Dorf-, Wiesen- und Bergheimat ist‘s, die ihre Schnitzmesser gleichsam führt und diesen einfachen Menschen Impuls und Anregung zu besten Leistungen gibt.
Jos. Blochberger.