Kultur und Heimat Kreis Annaberg. 7. Jahrgang. April 1960. S. 61 – 63.
Das Oktoberheft 1958 dieser Zeitschrift enthält einen Aufsatz von Karl Hans Pollmer, Zschorlau, „Rätselraten um Burg Greifenstein“, der einige kritische Bemerkungen und Ergänzungen erfordert.
Es ist richtig, daß die Existenz eines Schlosses Greifenstein (von einer „Burg“ ist nirgends die Rede) im 14. Jahrhundert, und zwar in den Jahren 1349 und 1372, urkundlich bezeugt ist. Richtig ist auch, daß die von verschiedenen Chronisten ausgesprochene Meinung, das Schloß sei im Jahre 1429 durch die Hussiten zerstört worden, nicht den Tatsachen entsprechen kann. – Auch ist dem Verfasser beizustimmen, wenn er die u. a. von dem bekannten Geschichtsforscher Dr. Leo Bönhoff einmal ausgesprochene Ansicht, das Schloß könnte auf dem heutigen Friedhof von Geyer gestanden haben und der „Wachtturm“ sei ein Bergfried gewesen, zurückweist. Übrigens rückte auch Bönhoff selbst in späteren Veröffentlichungen von dieser Meinung ab.
Völlig abwegig aber ist die von Adolf Siegel in Siegmar-Schönau an zwei Stellen („Glückauf“ 1939 und „Union“ vom 4. Dezember 1954) ausgesprochene Behauptung: „Die Frage, wo Schloß Greifenstein gestanden hat, ist völlig geklärt: Auf dem Schlosserberg, das ist Schloßberg, in Thum!“ Die von ihm angeführten „Beweisgründe“ für diese Behauptung sind alles andere als überzeugend. Beide Aufsätze stellen vielmehr ein einziges Sammelsurium völlig haltloser oder längst widerlegter Phantasieprodukte des Verfassers dar, die mit ernster Heimatforschung nichts gemein haben, aber als feststehende Tatsachen hingestellt werden.
Wir sind uns also darüber einig, daß das Schloß Greifenstein weder auf dem heutigen Friedhof von Geyer noch auf dem „Schloßherrberg“ zu Thum gestanden haben kann. Auch die von Pollmer vertretene Meinung, der Geyersche Wachtturm könnte eine Art „Vorburg“ des Schlosses Greifenstein gewesen sein, ist völlig unhaltbar, da in der Zeit, für die Greifenstein bezeugt ist, Geyer als selbständiger Ort noch nicht bestanden haben kann. Dagegen spricht alles dafür, daß die bereits von Christian Lehmann und anderen Chronisten vertretene Ansicht, das Schloß habe zwischen den Felsen oder in deren unmittelbarer Nähe gestanden, den Tatsachen entspricht. Im Lehnbuch Friedrichs des Ernsthaften von 1349 stehen im Zusammenhang mit dem Namen Greifenstein die Worte: „Bergwerk und Zinnwerk“, also Bergbau auf Silber und Zinn. Das kann nur bedeuten, daß das Schloß Greifenstein zum Schutze dieser Bergwerke dienen sollte, es muß also in deren Nähe gestanden haben. Bergwerke aber gab es bis zum Ende des 14. Jahrhunderts nur auf dem Sauberg bei Ehrenfriedersdorf und im sogenannten Freiwald zwischen den Greifensteinen und dem Greifenbachtal. In Ehrenfriedersdorf selbst dürfen wir den Standort des Schlosses ebensowenig suchen wie in Geyer oder Thum; denn auch hier gilt der auch von Pollmer erwähnte Vorbehalt, daß man von einer im Tale gelegenen Warte aus das Herannahen eines Feindes nicht rechtzeitig hätte bemerken können. Auch waren die Bergwerke des Sauberges, die in unmittelbarer Nähe eines verhältnismäßig volkreichen Ortes lagen – Ehrenfriedersdorf dürfte damals mindestens 1000 Einwohner gehabt haben –, nicht so sehr gefährdet, wie die abgelegenen Gruben im Walde. Und schließlich läßt ja auch der Name Greifenstein auf eine unmittelbare Beziehung zu der gleichnamigen Örtlichkeit schließen. Wir können also die Frage, wo hat das Schloß Greifenstein gestanden, wenn auch nicht mit völliger Sicherheit, so doch mit größter Wahrscheinlichkeit dahin beantworten: Da, wo es seinem Namen nach hingehört, zwischen den Felsen oder in deren unmittelbarer Nähe.
Es bleiben uns nun noch zwei Fragen zu beantworten: Wann ist das Schloß Greifenstein zerstört oder verlassen worden? Und zweitens: Warum ist heute so gar keine Spur mehr von ihm zu finden?
Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß die von vielen Chronisten der vergangenen Zeit vertretene Ansicht, das Schloß sei im Jahre 1429 durch die Hussiten zerstört worden, jeder Grundlage entbehrt. Aus der Zeit zwischen der letzten Erwähnung, 1372 und 1429, sind eine ganze Anzahl von Urkunden aus dem Greifensteingebiet erhalten und das Schloß würde sicher in der einen oder anderen derselben erwähnt worden sein, wenn es noch vorhanden gewesen wäre. Aber müssen wir denn überhaupt annehmen, daß es gewaltsam zerstört worden ist? Ich glaube, diese Frage kann man getrost mit „nein“ beantworten. Viel näher liegt die Annahme, daß es von seiner Besatzung verlassen und dem Verfall preisgegeben wurde, als es zum Schutze der Bergwerke nicht mehr benötigt wurde. Wann dieser Zeitpunkt eingetreten ist, können wir vermutlich indirekt einer sehr wichtigen Urkunde entnehmen: dem im Jahre 1377 abgeschlossenen Bergwerksvertrag zwischen dem Markgrafen von Meißen und den Herren von Waldenburg auf Wolkenstein. – Im allgemeinen hatten sich die Markgrafen den Bergbau auf die Edelmetalle, Gold und Silber, selbst vorbehalten, während der Abbau der unedlen Metalle, also Zinn, Kupfer und Eisen, den Grundherren der verlehnten Landesteile überlassen wurde. Eine Ausnahme bildeten die Herren von Waldenburg, die, wie aus dem Lehnbuch von 1349 hervorgeht, auch mit dem „Bergwerk“, worunter immer das Silberbergwerk zu verstehen ist, belehnt waren, so daß sie zeitweise sogar eine eigene Münze in Wolkenstein unterhalten haben. Dieser Zustand wurde in dem genannten Vertrag von 1377 grundlegend geändert; denn durch ihn nahmen die Markgrafen den Silberbergbau auf allen waldenburgischen Besitzungen in ihre eigenen Hände und überließen den Waldenburgern nur noch den Abbau des Zinns. Dabei wurde ausdrücklich festgelegt, daß die Markgrafen zur Aufrechterhaltung der Ordnung einen landesherrlichen Bergmeister einsetzen sollten, der natürlich auch für die Sicherheit der Gruben verantwortlich war. Dadurch aber wurde eine besondere waldenburgische Sicherung überflüssig und also auch das Schloß Greifenstein. Wir dürfen also wohl annehmen, daß dieses kurz nach 1377 eingegangen ist und daher in den folgenden Jahren in den Urkunden nicht mehr erwähnt wird.
Damit kommen wir zur Beantwortung der letzten Frage: Warum ist von Schloß Greifenstein heute so gar keine Spur mehr zu finden? Da müssen wir zunächst feststellen, daß wir bei diesem „Schloß Greifenstein“ keinesfalls an eine „hohe, stolze Burg“ wie Pollmer schreibt, denken dürfen. Wir können es uns vielmehr nicht einfach genug vorstellen! Denn ein „Herrschaftssitz“ ist Greifenstein nie gewesen und alle Erzählungen von den „Rittern von Greifenstein“ gehören in das Reich der Sage. Kein Angehöriger des Hauses Waldenburg, dessen Geschichte sehr zuverlässig durchforscht ist, hat jemals auf dem Schloß gewohnt und es ist auch nirgends davon die Rede, daß es der Sitz eines waldenburgischen Burgmannen oder Burglehners gewesen ist. In einer Urkunde vom Jahre 1381 werden die Burgmannen der Waldenburger auf Wolkenstein genannt: Heidenreich von der Wiesen, der Besitzer des Rittergutes Wiesa, Hans Krahe, „geseßin czu Ruckerswalde“ (heute ein Teil von Großrückerswalde) und Heinrich Stange auf Drebach, aber kein „Ritter von Greifenstein“! Auch die Angabe Pollmers, im Jahre 1437 (woher hat er diese Jahreszahl?) sei die bis dahin von der Burg Greifenstein ausgeübte Schutzherrschaft über die drei (damaligen) Dörfer Ehrenfriedersdorf, Geyer und Thum auf Schloß Scharfenstein übergegangen, ist völlig aus der Luft gegriffen. Die Urkunden sagen vielmehr eindeutig, daß die drei Orte von Anfang ihres Bestehens an bis 1439 immer unmittelbar den Waldenburgern auf Wolkenstein oder Scharfenstein, je nachdem, welche Linie gerade die „regierende“ war, unterstanden haben und dann um 1442 endgültig in den Besitz der Wettiner übergingen.
Keine „hohe, stolze Burg“ also war „Schloß“ Greifenstein, sondern vermutlich nur ein bescheidenes Kastell, vielleicht ein auf steinernen Grundmauern errichteter Blockhausbau, der mit einigen waldenburgischen Knechten besetzt war, die über das Wohl der Bergwerke zu wachen hatten. Ist unsere Annahme richtig, daß das Schloß zwischen den Felsen oder in deren unmittelbarer Nähe gestanden hat, dann brauchte es ja nicht einmal einen Turm, einen „Luginsland“, da ja die Felsen die beste Übersichtsmöglichkeit gewährten. Und daher dürfen wir uns auch nicht wundern, daß wir heute, nach 600 Jahren, so gar keine Spur mehr von Schloß Greifenstein entdecken können und nur aus den beiden Urkunden uns die Kunde von seiner Existenz erhalten geblieben ist.
Curt Langer, Annaberg-Buchholz
(Anmerkung der Redaktionskommission: Wie beim Geyerschen Wachtturm – Januar-Heft S. 7 – schließen wir auch hier die Diskussion bis zu dem Zeitpunkt, zu dem neue Tatsachen eine einwandfreie Klärung zulassen. Inzwischen empfehlen wir, in einer Aussprache zwischen dem Verfasser und den Freunden in Geyer die abweichenden Standpunkte zu klären.)