Von Spitznamen und alten Leuten aus Kühnhaide.

(Schluß.)

Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt. Tageblatt Annaberger Wochenblatt. Hauptzeitung des Obererzgebirges. Nr. 49. 130. Jahrgang. 6. Dezember 1936. S. 6.

Vor wenigen Wochen starb im Alter von 83 Jahren der „Grabensteiger-Hermann“, mit seinem wirklichen Namen Hermann Bräuer. Er ist vermutlich der letzte „Grabensteiger“ in Kühnhaide gewesen, nämlich der letzte, der diesen Namen noch trug. Seine Vorfahren waren bis vor 100 Jahren Kurfürstliche und dann Königliche Grabensteiger am „Zeuggraben“ in Reitzenhain. Den Namen „Grabensteiger“ behielten die Nachkommen, als sie längst nicht mehr in Reitzenhain und längst nicht mehr Grabensteiger waren und die Herkunft ihres Namens auch schon vergessen hatten. Und nun will es auf einmal der launische Volksmund, daß der Name ausstirbt und mit ihm ein wertvoller familien- und heimatgeschichtlicher Hinweis. Man muß ihm seinen Willen lassen!

Es kommt übrigens auch vor, daß Frauen ihren Namen auf die Sippe übertragen und sich damit „einen Namen machen“. Die Ahnmutter muß da irgendwie „markanter“ gewesen sein als der Ahnvater.

Die „Bergkorde“, Concordia Böttcher, heiratete 1790 den Carl Gottlob Bauer aus dem „Bauerhans“-Stamm. Ihre Nachkommen verloren den vom Vater her ererbten „Bauerhans“-Namen und tragen nunmehr den der „Bergkorde“. – Aehnlich verhält es sich mit dem Namen „Gasenrus“. Man hat viel an ihm herumgeraten. Es war einfach vergessen worden, woher der Name kam und was er bedeutet. Er hat gar nichts mit Ruß zu tun, was manche gedacht haben. Er stammt von einer Frau, die hieß Rosina Schmidt aus dem „Gasen“-Geschlecht. Sie heiratete 1787 den Christian Friedrich Freier und vererbte, den Vatersnamen einfach auslöschend, auf ihre Nachkommen den Namen „Gasenrus“ bis auf den heutigen Tag. Woher freilich der Name „Gasen“ stammt, bleibt hierbei unaufgeklärt.

Aus der Fülle der Beispiele sei hier nur noch eins erwähnt, das zugleich eine Art geographische Bedeutung hat. Es handelt sich hier um den Namensbestandteil „Raden“. Dieses „Raden“ kommt zunächst vor als Teil eines Familienspitznamens (in „Raden-Fritz“, „Raden-Mine“ usw.), dann aber auch als Teil eines Wegnamens („Radengasse“). Eine Deutung dafür ist bis jetzt nicht vorhanden. Vielleicht ist folgende Deutung richtig: Das „Raden“ gibt es im Lorenz-Stamm und in einem Weigelt-Stamm. Es geht in beiden Fällen zurück bis etwa um 1800 und zielt im Falle Lorenz auf einen Conrad (1754 – 1828) und im Falle Weigelt ebenfalls auf einen Conrad (1738 – 1803), auf zwei „Conraden“ also, wie der Volksmund sagen würde. Das Wort Conrad hat sich dann abgeschliffen zu „Rad“ (wie etwa „Vid“ von David), und der Sohn des Conrad Lorenz hieß dann einfach der „Raden-Traugott“ und der Sohn des Conrad Weigelt der „Raden-Fritz“, die Gasse aber, wo beide gewohnt haben, die „Radengasse“.

Die Vorführung von alten Leuten aus Kühnhaide soll damit einstweilen beendet sein. Möge sie dem Leser, besonders dem heimatlich interessierten, einigen Aufschluß geben und einiges Vergnügen bereiten! Der Verfasser will allerdings nicht bloß unterhalten, sondern – wenn er sich das anmaßen darf – auch ein wenig volkskundlich unterrichten. Er will die sogenannten Spitznamen in ein besseres Ansehen bringen. Sie führen ein merkwürdig dunkles Dasein, man gebraucht sie eigentlich nur „hinter dem Rücken“, und sie Fremden zu sagen, schämt man sich fast. Man sollte sie mit anderen Augen ansehen. Sie haben doch nichts „verbrochen“. Mögen sie auch in den meisten Fällen „hintenrum“ entstanden sein, dafür können sie doch nichts. Sie haben trotzdem ihr gutes Gewissen, sind gerades, ehrliches Volkstum.

Und – bei Licht besehen – sie haben sogar ein Verdienst. Sie geben uns Kunde von weit entrückten Menschen und Dingen, über die manche andere Berichterstattung unvollkommen ist oder ganz versagt. Und was wir heute aus Kirchenbüchern zusammenlesen, bleiche Namenreihe mitunter nur, trockenes Zahlengeflecht, das wird oft überraschend belebt durch einen einzigen vom Volksmunde treu überlieferten Spitznamen. Er kann uns gute Dienste leisten, wenn wir uns bemühen, das Dunkel aufzuhellen, in das die Welt unserer Ahnen hinabgesunken ist.

Und darum: Möge es nicht umsonst sein, dieses Kapitel von alten Leuten!

Robert Müller.