Vom Brauerburschen zum Besitzer der Annaberger Festhalle.

Erzgebirgische Heimatblätter. Beilage der Obererzgebirgischen Zeitung. Freitag, den 2. November 1928, S. 1 – 2.

25 Jahre Unternehmer-Laufbahn Paul Müllers.

Paul Müller,
Festhallen- und Keglerheim-Besitzer in Annaberg.

Wenn spätere Geschlechter einmal die Förderung des modernen Verkehrslebens der Pöhlbergstadt um das erste Viertel des 20. Jahrhunderts im Spiegel der Annaberger Chronik nachlesen, so werden sie, wenn der Chronist ein objektiver Berichterstatter war, entschieden und mit Recht die Feststellung vorfinden, daß es der heutige Festhallenwirt Paul Müller gewesen ist, der durch die Schöpfung einer stattlichen Reihe großstädtischer öffentlicher Einrichtungen in rascher Folge es verstanden hat, den an und für sich stets lebhaften Verkehr in und nach Annaberg in ganz außerordentlicher Weise zu steigern und so den Ruf Annabergs im ganzen Lande zu mehren.

Es lohnt sich, in diese Unternehmerlaufbahn Paul Müllers rückblickend einmal sich zu versenken, um vor dem erstaunten geistigen Blick all das in Summa zu betrachten, was dieser zum Unternehmer geradezu geschaffene und heute noch unermüdlich weiter sinnende und schöpferisch tätige Mann der Metropole des Erzgebirges alles gegeben hat, angefangen mit dem Konzert- und Tanzsalon in der Kätfesthalle Anno 1906, hin zum Kinosalon und Automatenrestaurant, zur Rollschuhbahn, dem „Oriental“, der Museumsdiele usw., bis zu der heutigen in ganz Sachsen bekannten und berühmten Festhalle mit ihrem Keglerheim.

Alles, was Müller anfaßte, hatte großen Zug, klappte, war organisiert bis ins kleinste, und gereichte Annaberg weithin zum Ruhme.

Am 3. November dieses Jahres (1928) nun ist ein Vierteljahrhundert dahingegangen, seit Paul Müller, der ehemalige Brauerbursche, der von einem sehr knappen Monatslohn sich die erste Sparmark zur Selbständigkeit zielbewußt abknappste, seine Laufbahn als Unternehmer begann, deren Erfolge ihm, wie dies nun einmal im Leben ist, naturgemäß auch viele Neider und Gegner brachten, manchen Undank auch und vor allem viel Sorge und Kämpfe. Denn bei ihm ging der Weg zur Höhe über steile Pfade und steinige Wege. Aber niemals scheute Müller das Ringen und Kämpfen des irdischen Daseins.

Und so wird der in seinem Wesen und Streben so markante Buchholzer (in der Schwesterstadt Annabergs war er geboren), wenn er am morgigen Sonnabend die letzten 25 Jahre seines Lebens im Geiste vorübergleiten läßt, einen Lebensfilm an sich vorüberziehen sehen, auf dem die Akte zwar von Erfolg zu Erfolg vorwärts schreiten, dessen einzelne Szenen aber auch ein reichliches Maß an Stürmen aufweisen.

Was die Stadt Annaberg diesem Unternehmergenie zu danken hat, umfaßt u.a. das Wort Festhalle. Nimmer wäre es angängig gewesen, den größten Teil der reichen Zahl sächsischer Kongresse usw. in der Pöhlbergstadt abhalten zu können, wenn nicht ein Paul Müller mit seiner Riesenhalle am Weichbilde der Stadt dies ermöglicht hätte, und immer waren alle in ihr erstaunt, vom Reichsminister bis zum bescheidenen Handwerker und Arbeiter hin, die rings aus dem ganzen Sachsenlande bis her von der Reichshauptstadt zu ernstem Raten und Taten hier zusammenkamen. Nicht selten war es Paul Müller auch, der zur Stelle war und erfolgreich und opferbereit eingriff, wenn es galt, Bundesfeste ganz Sachsens und anderes nach Annaberg zu bringen.

Lassen wir nun einmal den Lebenslauf und die Schöpfungen dieses an Tatkraft und Unternehmermut vorbildlichen Mannes an uns vorüberziehen, um uns wieder einmal zu zeigen, wie ein zäher Wille es im Leben aus Kleinem zu Großem bringen kann.

*

Paul Müller wurde am 5. Januar 1878 zu Buchholz geboren, besuchte hierselbst die Bürgerschule, erlernte in Grimma den Brauerberuf und kehrte nach sechsjähriger Lehr-, Wander- und Bierbrauergehilfenzeit in die Heimat zurück. Nach Beendigung der aktiven Dienstzeit bei der Artillerie trat er bei der Annaberger Brauerei in Arbeit.

Am 3. November 1903 begann er seine Unternehmerlaufbahn. Als Brauerbursche mit einem Monatslohn von 60 Mark hatte er sich mit Sparsamkeit und Fleiß ein ansehnliches Sümmchen zu eigen gemacht und übernahm vom vorbezeichneten Tage ab als Pächter das bekannte Restaurant „St. Privat“ an der Kleinrückerswalder Straße, das seinerzeit der Witwe Röder gehörte. Paul Müller brachte das Lokal binnen kurzem auf beachtliche Höhe.

Zum Kätfest 1904 war der Jubilar bereits mit vertreten und bewirtschaftete ein großes Varietézelt, das an der Stelle stand, wo heute die Festhalle sich befindet. Im folgenden Jahre brachte er zur Kät bereits eine Sensation in Gestalt eines erstklassigen Konzert- und Tanzsalons. Wenige Wochen darauf, in den Tagen vom 15. bis 19. Juli 1905, beging die Stadt Geyer ihr Heimatfest. Da man auf die vorzügliche Organisation des Annaberger Festzeltes aufmerksam geworden war, so wurde Paul Müller nach Geyer zur Bewirtschaftung der Vergnügungspark-Festhalle geholt. Von größter Bedeutung war das Jahr 1906. Zunächst übernahm mit dem 31. März Paul Müller das Adam-Ries-Haus (Altdeutsche Weinstube) an der Johannisgasse, da die Besitzerin (bezw. deren Schwiegersohn) des Restaurants „St. Privat“ dieses, da es so gut florierte, wieder selbst bewirtschaften wollte. Am 18. April 1906 faßte der Annaberger Gastwirtsverein den Beschluß, anläßlich des hier stattfindenden 20. Sächsischen Gastwirtsverbandstages mit Ausstellung eine 1500 Quadratmeter große Festhalle zu errichten.

Der Bau wurde in Kürze von Baumeister Julius Götz ausgeführt, er war mit 6000 Mark veranschlagt. Nach eingehender Aussprache wurde in der Sitzung des Gastwirtsvereins vom 16. Mai 1906 beschlossen, die Bewirtschaftung der Festhalle für die Dauer des Kätfestes 1906 (10. bis 17. Juni), sowie zum Annaberger Heimatfest 1906 (21. bis 24. Juli) dem Gastwirt Paul Müller zu übertragen. Acht Tage nach der Kät 1906, für den 24. Juni, gelang es dem Festhallenwirt im Verein mit dem „Liederkranz“, den Leipziger Männerchor in einer Stärke von 200 Mann nach hier zu bringen. Dies erste Gesangskonzert, das die Halle erlebte, wurde von dem damals bestens bekannten Gustav Wohlgemuth-Leipzig persönlich geleitet. Es war ein Massenbesuch zu verzeichnen. Zur Kät war in der Festhalle Konzert des Stadtorchesters und Tanz. Das war etwas Neues für die Kätbesucher, und so wollte jeder einmal die Halle sehen. In den Tagen vom 8. bis 15. Juli 1906 fand die große Gastwirtsausstellung darin statt.

Nach Schluß derselben wurde die Halle für das Heimatfest vollständig neu dekoriert. Es fanden unter Direktor Reichardt Konzerte der Stadtkapelle statt, untermischt mit Gesängen des „Tannhäuser“ (unter Arno Lehmann). Zum Kätfest 1907 wandelte Paul Müller die ihm lieb gewordene Halle zu einem glänzenden Varietétheater um. Der Kunstmaler Fritz Weiß-Leipzig (Battenberg) schuf eine prächtige Bühnendekoration, einen „Wintergarten“ mit Springbrunnen, Blumen und Blätterranken. Auch der Zuschauerraum wurde äußerst wirkungsvoll gestaltet. 115 Gasglühlichtlampen erhellten die Halle. Auch wurde ein Konditoreibufett von Karl Schubert (Café Central) aufgestellt. Für die Dauer der Kät 1907 war Bemme mit seiner Varietétruppe anwesend, ebenso dann 1908. Inzwischen hatte Paul Müller sensationelle Pläne verwirklicht. Unter großem Andrange des Publikums eröffnete er am 1. Weihnachtsfeiertag des Jahres 1907 den Ersten Annaberger Kino-Salon mit Automaten-Restaurant in der Buchholzer Straße (jetzige Kammer-Lichtspiele). Das Unternehmen wurde später in die „Erzgebirgische Kino- und Automaten-Gesellschaft m. b. H.“ umgewandelt. Zum Kätfest 1909 wurde die Festhalle im Stile des Münchener Oktoberfestes dekoriert, und fanden hier oberbayrische Original-Volksfeste mit der Oberlandlerkapelle von Schorsch Ehrengruber statt. Doch nicht rastete der Geist des vorwärtsstrebenden Unternehmers. Mit dem 1. Weihnachtsfeiertag 1909 wurde das weitum bekannte „Café Oriental“ von Paul Müller eröffnet. Wiederum war das Publikum über diese großartige, moderne Einrichtung vollständig „baff“. Auch die Festhalle erfuhr wiederum eine neue Umgestaltung.

Als „Annaberger Rollschuhbahn“ öffnete sie am 10.4.1910 ihre Pforten als einzige von ganz Sachsen. Die Bahnfläche gab ein wundervolles Tanzparkett ab, so daß zur Kät 1911 die Festhalle die Menge der Tanzlustigen und Zuschauer kaum zu fassen vermochte. Zum Pfingsfest 1911 organisierte Paul Müller die 1. Annaberger Flugwoche, wobei der Flieger Schall Kunstflüge rund um den Pöhlberg ausführte. Bei dem Flug des Zeppelinluftschiffes „Sachsen“ am 19. Oktober 1921 nahm der stets nach Neuem, noch nie Dagewesenem Strebende als Passagier mit an der Fahrt teil, wobei er kinematographische Aufnahmen kurbelte, die im Kino-Salon zur Vorführung gelangten. Dann brach der Weltkrieg aus. Eben hatte Paul Müller noch auf dem Bahnhof in Weipert den Abmarsch der österreichischen Soldaten ins Feindesland mit seinem Kino-Photo aufgenommen, als ihn wenige Tage darauf die Ordre zum Heeresdienst rief. Binnen weniger Monate wurde Annaberg im Jahre 1915 Garnisonstadt. Rekruten-Depots der 104er, 181er und des Pionier-Bataillons Pirna kamen nach hier. Es hieß, eine geeignete Verpflegungsstatt für diese Truppen schaffen. Nichts eignete sich besser hierzu als wie die Festhalle. Doch wer sollte diesen Riesenbetrieb leiten? Da mußte ein Müller Paul her! Und so wurde dieser mit Erfolg reklamiert. Die hier verpflegten Soldaten werden sich nicht zu beklagen haben brauchen. Dann kam auch noch die Volksküche mit einer täglichen Portionszahl von 5000 zu je 32 Pfennig. Für viele wurde dies ein wahrer Segen. Bedeutungsvoll wurde nach dem Friedensschluß für Paul Müller das Jahr 1918. Vom 1. Weihnachtsfeiertage ab übernahm er die Bewirtschaftung des Hotels „Museum“, das viele Jahre leergestanden hatte und für das man keinen besseren Pächter finden konnte.

Die „Museumsdiele“ erstand, der historische „Friedrich-Saal“ wurde renoviert usw. 1920 übernahm er das „Museum“ käuflich. Wer hätte das einmal gedacht? Vom Brauerbursch zum Museumsbesitzer. Im Oktober 1921 verkaufte er sein „Museum“ an die Commerz- und Privatbank. Die Inflation verschlang sein erworbenes Vermögen und er mußte von vorn anfangen. So wandte Paul Müller sein ganzes Interesse der ihm verbliebenen Festhalle zu. Als Leiter für die Gastwirtsausstellung in Annaberg 1921 erwarb er sich große Verdienste und wurde vom Sächsischen Gastwirtsverband mit der Goldenen Verbandsnadel ausgezeichnet. Das nächste Große, was Paul Müller in der Reihe seiner Unternehmungen schuf, war das Annaberger Keglerheim mit seinen sechs mustergültigen Bahnen, das anläßlich des 9. Sächsischen Bundeskegelns in Annaberg eröffnet wurde. Viele Städte beneiden die Pöhlbergstadt um dieses neuzeitliche Heim mit seinem „Türkischen Kaffee“, das 1925 ebenso erstand, wie die prächtige Festhallen-Terrasse und die moderne Festhallen-Küche.

Schon wiederholt ist ausgeführt worden, daß die Festhalle mit zu den Sehenswürdigkeiten von Annaberg gehört und in ganz Sachsen und darüber hinaus bekannt ist. Annaberg hätte nicht seinen Ruhm als Kongreßstadt, wenn dieses Lokal nicht da wäre, das den Massenbesuch vieler Tausende zu den Tagungen usw. aufnehmen kann. Es bedarf keiner weiteren Ausführung, was alles in Annaberg dort schon tagte. So trägt die Festhalle also dazu bestens bei, den Ruf von Annaberg als Fremdenstadt mit zu heben.

*

Wie vor 25 Jahren, so fällt auch jetzt der 3. November auf einen Sonnabend. Im oberen Erzgebirge wird man weit und breit, davon sind wir überzeugt, an diesem Ehrentag Paul Müllers teilnehmen und ihm zum Ausdruck bringen, mit welcher Hochachtung man all seiner schöpferischen Tätigkeit gedenkt. Alles, was er erschuf, steht festgefügt noch heute da, in hohem Maße dienend der Oeffentlichkeit und der Stadt Annaberg.

Noch zum Schluß wollen wir aber eins nicht vergessen. An der Seite dieses Mannes stand und steht, wirkt und schafft unermüdlich vom frühen Morgen bis in die sinkende Nacht, jahraus, jahrein, eine selten arbeitsfrohe, nie verdrießliche, treuhingebende Frau, die just einem Paul Müller die rechte Lebenskameradin gewesen ist. Er wird wissen, welches Kleinod er an ihr besitzt. Und auch sonst ward ihm an Tochter und Schwiegersohn das, was er für die einstige Weiterführung seiner Betriebe sich wohl immer im stillen erwünschte.

Der sicher gewaltigen Fülle an Wünschen nun, die am 3. November ihren Weg zu dem Festhalllenwirt und den Seinigen nehmen wird, fügt die Obererzgebirgische Zeitung, die stets all das, was der Jubilar im großen Zuge der Stadt Annaberg gab, mit freudiger Unterstützung anerkennend verfolgte, die ihren aufrichtig hinzu und gedenkt dabei stolz besonders auch dessen, daß in der Schwesterstadt Annabergs die Wiege Paul Müllers gestanden hat.