Vierenstraße? Siebensäure?

Kultur und Heimat Kreis Annaberg. 5. Jahrgang. Juni 1958. S. 89 – 90.

Tausende fahren jedes Jahr nach Oberwiesenthal; hunderte davon steigen bereits auf der Station Vierenstraße aus, um zu Fuß nach dem Fichtelberg zu wandern. Die weiter Fahrenden merken nicht, daß sie gleich hinter der „Vierenstraße“ den „Fünfenbach“ kreuzen und daß sich dann die Bahn zwischen dem „Sechsengrund“ und dem Wege „Sechste Rundung“ hinauf nach Kretscham-Rothensehma quält. Schon 1904 schreibt E. Weinhold im „Glückauf“ S. 132: „Die Bezeichnung Vierenstraße erinnert an die alte Einteilung des Waldes um den Fichtelberg in 12 Hauptflügel und 10 Rundungen, deren erste um die heute noch von der Vermessung her als „Pfahl“ bezeichnete Höhe nö. der Tellerhäuser gelagert war. Beim vierten Kreisring etwa hat die Vierenstraße begonnen. Die Waldnamen „Einserberg“ bei Tellerhäuser, „Dreiberg“ und „Sechsenberg“, beide nw. von letztgenanntem Orte, sind ähnlichen Ursprungs. Auf der Wanderung von Kretscham-Rothensehma herunter begegnet der Fichtelbergbesucher einem Wege, der als „Sechste Rundung“ kenntlich gemacht ist, und wahrscheinlich erinnert der Name „Siebensäure“ westl. von Neudorf daran, daß der Sumpf in der Nähe des siebenten Ringes gelegen ist.“

Ausführlich berichten Christian Lehmann S. 128 und Birke 1913 in seiner Programmarbeit S. 54/55 von der Angelegenheit. Alle Zahlenangaben gehen auf einen geschichtlichen Vorgang im Fichtelberggebiet zurück, der aber vergessen wurde, da er schon recht alt ist. Als das große Waldgebiet 1559 von Kurfürst August den Hartensteiner Grafen abgekauft worden war, damit er seiner Jagdlust nachgehen konnte, war es schwer, sich in den unwirtlichen Wäldern zurechtzufinden. Da er aber ein vielgereister und gut orientierter Mann war, faßte er den Entschluß, seine Waldbesitzungen kartenmäßig festzulegen. Seine Nachfolger nahmen den Gedanken wieder auf, und Johann Georg I. schickte den Annaberger Markscheider Matthias Oeder ins Obererzgebirge. So erzählt Lehmann S. 128: Anno 1607 kam hochgedachter Herzog Johann Georg I. als Land-Jäger-Meister herauf ins Gebirge / beritte die Wälder selbst / blieb 3 Tage in Crottendorf liegen / und machte auf allen Wäldern Anstalt / wie sie sollten abgezogen werden / Massen deme im folgenden 1608. Jahr Matz Oeder / Churf. Markscheider herauf geschicket wurde / welcher sonderlich den großen Wald nach der Gottesgabe abziehen müssen … Man machte den Anfang auf dem großen Hemberg / alwo oben ein ebener Platz als ein ziemlicher Marck in der Runde / auf demselben steht mitten eine zwölfeckige Säule, die man vorzeiten den Pflock nennete / nun aber der Pfahl heißet / derselben Ecken sind nummerieret nach den Flügeln / wie denn der ganze Wald als ein Spinnenrad in 10 Rundungen und 12 Hauptflügel abgeteilet / als daß jede Rundung 1200 Doppelschritt von der andern entfernt ist …

So ging der 7. Flügel über ein Hochmoor, eine „Säure“, die wir heute noch als „Siebensäure“ bezeichnen. Der 1. Flügel, in Richtung auf „Tellers neues Haus“ zielend, lief über den „Einsberg“. Solche Namen sind das einzige, was für die Öffentlichkeit von dieser Abziehung übrig blieb. Das Ergebnis war aber die berühmte „Oederkarte“, die erste vermessene Karte überhaupt, die uns über die damaligen Verhältnisse Aufschluß gibt.

Spätere Karten übernahmen eine Reihe Namen, die alle auf die alte Einteilung zurückgehen:

  1. Der Einsberg, über den der 1. Hauptflügel lief, ist die Höhe 1022,3 (u. 1033,2) n.-ö. an Tellerhäuser.
  2. Das Zweiergehau lag westl. am Taufichtig, hatte in sich den „Entsprung“ der Kl. Mittweida zw. der 2. u. 3. Rundung und wird auf dem Meilenblatt nach 1872 genannt.
  3. Der Dreiberg liegt w. vom Taufichtig in der 3. Rundung, wie auch der „Dreiweg“ bei Punkt 793,7. Er führte vom Südende der Kalkstraße hinauf nach dem Katzenstein. Bis 1945 zeigte ein Wegweiser an seinem Ostende die Bezeichnung.
  4. Der Vierensteig, der Vorläufer der Vierenstraße, führte von der heutigen Haltestelle auf der Höhe östl. der Weißen Sehma in Richtung Eisenberggipfel immer in der 4. Rundung. Das Meilenblatt führt noch den alten Namen.
  5. Der Fünfenbach lief in der 5. Rundung. Seine zahlreichen Quellbäche verführen zunächst zu der Annahme, daß die Bezeichnung von 5 Quellbächen stammt. Er mündet gleich oberhalb Neudorf in die Sehma. Oeder nennt ihn die Kl. weiße Sehm.
  6. Der Sechserberg (besser Sechsenberg) liegt 794 m hoch zw. den Oberläufen von Friedrichsbach und Luchsbach im 4. Flügel und hat den Namen von der 6. Rundung. Nach ihr ist auch der Sechsengrund genannt, das Tal der „großen roten Sehm“ Oeders zw. Neudorf und Kretscham. Der Weg „Sechste Rundung“ südl. vom „Sechsengrund“ vereinigt sich an der Bahn mit dem Bärenfangweg. Er läuft durch die Abt. 4/14/27, früher bis zur heutigen Stümpelstraße.
  7. Die Siebensäure nennt sich nach dem Flügel und liegt in Abt. 21/23 zw. Morgenberg und Kuhbrückenberg.
  8. Ein Achtenweg wird auf dem Meilenblatt s. am Feuerturm oder Steinberg zw. Neudorf und Niederschlag verzeichnet.

Annaberg-Buchholz, am 5. März 1958.

Hermann Lange, Annaberg-Buchholz.