Erzählt von Paul Kühnel.
Erzgebirgische Heimatblätter. Beilage der Obererzgebirgischen Zeitung. Nr. 2. — Sonntag, den 5. Januar 1930, S. 2
Der Weihnachtsheiligabend.
Dieser Tag war für die Bewohner des Erzgebirges der schönste Freudentag im Jahre. Die Freude wurde noch gesteigert, wenn sich der Schnee meterhoch in den Straßen auftürmte, die „Vorhäuschen“ zu den Haustüren der kleinen Hütten völlig zugestöbert waren und ein echter Winterwind aus vollen Backen blies. Dann war es erst recht weihnachtlich.
Schon vom frühen Morgen an wurden die Stuben geputzt und gescheuert, wie auch heute noch. Die Kinder, sonst immer mit dem „Flechten“ beschäftigt, hatten diese Arbeit beiseite geräumt und vergoldeten Aepfel und Nüsse, kramten den Christbaumschmuck aus der alten „Lade“ und machten alles fertig; denn wenn der Vater zu mittag von der Arbeit kam, dann wurde der Christbaum angeputzt.
Alter Sitte gemäß wurde das Mittagsmahl der Bedeutung des Tages angepaßt. Es gab Hirsebrei. Wenn wir Kinder immer nicht daran denken wollten, so paßte die Mutter ganz genau auf, ob alle Hirse aßen. „Eßt, Kinder!“ sprach sie. „Da haben wir das ganze Jahr viel Taler in der Tasche!“ Ob wir wollten oder nicht, einige Löffel voll mußten davon verdaut werden. Doch war jeder froh, wenn die Mahlzeit beendet war.
Immer näher rückte dann der Abend heran. Der Christbaum wurde unter Vaters Leitung angeputzt, Stockholz vom Boden heruntergeholt, damit das Stübchen warm gemacht und dann die Festkleidung angezogen. Um 5 Uhr war Christmette, da gingen alle hin bis auf die Hausfrau. Als kleiner Junge bin ich oft mit meinem Vater gegangen, später sang ich auf dem Chore mit. Zu jener Zeit, wo ich an Vaters Hand zur Kirche geführt wurde und wo die Kirchen noch nicht elektrisch erleuchtet waren, interessierte mich auch das: Jeder Besucher brachte sein Licht mit und stellte es vor sich hin. Die Bergleute kamen mit den „Blenden“ (Grubenlichtern).
Nach der Christmette sangen die Chorkinder vom Kirchturm. Zuerst wurde das „Turm-Glückauf“ gesungen, das an die Bergstadt anknüpfte:
:,: Glückauf! Glückauf! Glückauf! :,:
Der Bergfürst ist erschienen,
Das große Licht der Welt.
Er heißet: Rat, Kraft, Held!
Auf, eilt ihn zu begrüßen,
Auf, Knappschaft, kommt zu Hauf!
Dann erklangen noch die bekannten kirchlichen Weihnachtslieder „Stille Nacht“, „O du fröhliche“ usw.
Einen reizenden Anblick vom Kirchturm herab bot immer das völlig in Winterpracht eingehüllte Städtchen mit seinen von Christbäumen erhellten Fenstern. Da hüpfte das Kinderherz vor Freude. Gegen 7 Uhr war diese Feier beendet, und es ging heim, wo die Mutter das Abendbrot bereitet hatte. Auch am Abend gab es wieder eine besondere Spezialität, die der von Mittag bald gleich kam: Kohlrübensalat! Meine Mutter jedoch mischte immer etwas Kartoffeln und einen Hering darunter, so daß es dann ganz gut schmeckte.
Nach der üblichen Bescherung, die infolge der Armut der meisten Gebirgsbewohner nicht allzu reichlich ausfiel, blieb man im trauten Familienkreise versammelt. Kinderlose Anverwandte, Hausnachbarn usw. kamen zu Besuch. Ein Grog von gewöhnlichem Rum wurde gebraut und Stollen dazu gegessen. Aus der „Röhre“ duftete der Weihnachtsbraten für den nächsten Tag. Bei den armen Bergleuten war es aber keine Gans, auch kein Hase, höchstens ein Stück Rind- oder Schweinefleisch, in vielen Familien nur Pferdefleisch. Stolz war der Familienvater, der als Weihnachtsbraten einen „Dachhasen“ (Katze) von irgendeinem Bauern aus der Umgegend verkauft bekommen hatte.
Auch am Weihnachtsabend wurde auf allerlei Gebräuche großer Wert gelegt. Am Weihnachtsheiligabend begannen die „zwölf heiligen Nächte“. Alle Hausfrauen achteten in diesen Tagen darauf, daß nichts zerschlagen wurde, denn „Scherben“ bedeuteten ein besonderes Unglück, man ahnte meist einen Todesfall. Wehe, wenn am Heiligabend ein Grogglas zerbrochen oder ein Lampenschirm von der Petroleumlampe zerschmissen wurde, die ganze Weihnachtsstimmung war verdorben.
Auch auf die Träume wurde in diesen Nächten großer Wert gelegt. Man sah es nicht gern, wenn man von Verstorbenen träumte oder von recht „reifen, schwarzen Heidelbeeren“; das bedeutete bestimmt einen Trauerfall. Dabei war auch gleich der Monat bestimmt; denn träumte man davon in der ersten Nacht, so passierte es im Januar, in der zweiten, im Februar usw. Weiter war das „Zinngießen“ beliebt durch einen kaputten Löffel oder Erbschlüssel in ein Waschbecken. Aus diesen gegossenen Figuren deutete man allerhand für die Zukunft. Jüngere Leute übten sich im „Pantoffelwerfen“. Zeigte die Spitze immer nach vorn, der Türe zu, so mußte diejenige Person im nächsten Jahre das Vaterhaus verlassen. Ferner wurde probiert, ob man im Schatten des brennenden Lichterbaums einen „Kopf hatte“. War das der Fall, dann überlebte man das nächste Jahr.
In später Mitternachtsstunde erst ging man zur Ruhe, und damit wurde zugleich der Hauptfesttag des Weihnachtsfestes begraben. Die beiden anderen Feiertage zählten lange nicht so viel, wie der Weihnachtsheiligabend. Nur der Silvesterabend zeigte den trauten Familienkreis wieder und ließ die eben erwähnten Sitten und Gebräuche als Ausklang der Weihnachtszeit noch einmal aufleben.