Tannenberg im Erzgebirge (5)

Vorlesung in der Chemnitzer Volkshochschule, gehalten von Oberlehrer Hermann Lungwitz, Geyer (Sa.).

(Schluß.)

Erzgebirgische Heimatblätter. Beilage der Obererzgebirgischen Zeitung. Nr. 1. — Neujahr 1930, S. 2

Auch die alten Grabmäler, die bisher von einem Kalkanstrich überzogen waren, sind in ihrer alten Schönheit wieder hergestellt worden. Die Erneuerung hat ferner verschiedene interessante Funde zur Folge gehabt. Ueber der Sakristeitüre wurde die Inschrift zu dem darüber befindlichen Grabmal entdeckt, die zuvor völlig mit Kalk überstrichen war. Im Mittelgang wurde ein alter Grabstein gehoben, den der Pfarrer Hoffmann als das Grabmal des im Jahre 1611 verstorbenen Erb-, Lehn- und Gerichtsherrn Hans Rudlof auf Tannenberg entziffert hat, und der im Altarraum aufgestellt worden ist. Zuletzt hat man noch 4 alte Gemälde zu Tage gefördert, die als Fußbodenbelag auf der Empore gedient hatten. Sie stellten die Geburt zu Bethlehem, die Taufe im Jordan, das Abendmahl und die Gethsemaneszene dar und sind wahrscheinlich die Reste einer alten Bemalung der Emporebrüstung. Ihr Alter ist noch nicht festgestellt. Es handelt sich um rührend naive Darstellungen weniger von künstlerischem als von historischem Werte.

Von der Weihe der erneuerten Tannenberger Kirche berichtet Pfarrer Hoffmann weiter: Eine zahlreiche Menge hatte sich zu diesem Zweck schon frühzeitig im Gotteshaus versammelt. Unter dem Geläute der neuen Glocken bewegte sich um 9 Uhr des ersten Ostertages der Zug der Vereine mit ihren Fahnen, geleitet vom Kirchenvorstand unter Führung des Pfarrers und des Herrn Fabrikbesitzers Willy Meyer, als Vertreter des Patronats, zur Kirche. Beim Betreten des Gotteshauses wurde der Zug von den brausenden Klängen der neuen Orgel empfangen. In der Predigt feierte der Pfarrer die Vollendung des Werkes. Die Kirchenmusik wurde von dem Gesangverein „Liederkranz“ unter der kundigen Leitung des Kantors Göbel stimmungsvoll zu Gehör gebracht. Sinnige Inschriften tragen die drei neuen Stahlglocken. Auf der Predigtglocke steht: „Vivos voco: die noch auf erden wallen, ruft mein Klingen zu Beten und Singen.“ Die Begräbnisglocke hat als Inschrift: „Mortuos plango: die Gott uns nahm in Kriegs- und Friedenstagen will ich beklagen.“ Auf der Sturmglocke liest man: „Fulgura frango: Vor Kriegesblitzen und Gewitters Not bewahr‘ uns Gott.“

Nach dem am 29. Dezember 1919 erfolgten Heimgange der Frau Rittergutsbesitzer Clara Louise Rudolph geb. Grund ging das Gut an deren Erben Frau Charlotte Anna Meyer geb. Rudolph und an die Herren Hans Friedrich Rudolph und Otto Anton Rudolph über. Während Jahrhunderte hindurch die Felder des Ritterbesitzes mit Flachs bebaut wurden, stehen auf denselben Fluren jetzt Tannen und Fichten und die Bearbeitung der Flachsfaser, einst Heimarbeit, geschieht jetzt in der Fabrik. Herr Willy Oskar Meyer (1929 zur ewigen Ruhe eingegangen. D. R.), Mitbesitzer des Rittergutes, ist gleichzeitig Mitinhaber der Mechanischen Flachsspinnerei Meyer u. Co. in Wiesenbad, die zu den vier größten derartigen Spinnereien des Sachsenlandes zählt. Vor dem Weltkriege bezog man 85 Prozent allen Flachses aus Rußland, 10 Prozent aus Oesterreich-Ungarn und nur 5 Prozent aus Deutschland. Die Not der Zeit gebot Wandel, 1913 waren 13.000 Hektar in Deutschland mit Flachsbau bestellt und jetzt stehen 40.000 Hektar dieser Kultur zur Verfügung. Mühsamer Vorbereitungen bedarf es, ehe die Flachsfaser in Leinwand verwandelt wird. „Von Webers Hand ward mir bereit von der Wiege bis zum Sterbekleid“ lautet der Spruch auf der Prunkschüssel einer erzgebirgischen Weberzunft. Die Amtshauptmannschaften Annaberg und Schwarzenberg haben die Wiesenbader Flachsspinnerei mit dem Ankauf des Rohmaterials betraut. Um dem Landwirt den Flachsanbau schmackhaft zu machen, hat man ihm die Belieferung von Leinwand garantiert. Welche Arbeit dies verursacht, kann nur der ermessen, welcher in Betracht zieht, daß in Wiesenbad rund 2000 Anbauer in Pöstchen von 3 bis 40 Zentner Flachsstroh ablieferten. Die Bescheinigungen werden von der Deutschen Flachsbau-Gesellschaft an Weber weitergegeben, die diese kleinen Aufträge ausführen. Man schätzt, daß auf diese Weise 80.000 kleine Bestellungen erst für die Anbauer ausgeführt werden müssen, ehe der Gesamtkonsum berücksichtigt werden kann.

Ein Ueberblick über die Geschichte Tannenbergs ergibt einen allmählichen Uebergang vom Ackerbau zum Gewerbe. Mögen beide auch fernerhin friedlich nebeneinander in unserm Tannenberg gedeihen. Unumstößlich jedoch bleibt es Wahrheit:

Es sprießt der Stamm der Riesen aus Bauernmark hervor,
Der Bauer ist kein Spielzeug, da fei uns Gott davor!
Denn, wäre nicht der Bauer, so hättest du kein Brot!