Vorlesung in der Chemnitzer Volkshochschule, gehalten von Oberlehrer Hermann Lungwitz, Geyer (Sa.).
(Fortsetzung.)
Illustrierte Wochenbeilage der „Obererzgebirgischen Zeitung. Nr. 52. Weihnachten 1929, S. 1 -2.
Im Jahre 1912 arbeiteten zirka dreihundert Arbeiter in zehnstündiger Arbeitszeit im Werke, das fünftausend Spinn- und viertausend Zwirnspindeln zählte. In der anläßlich der Jahrhundertfeier verfaßten Denkschrift sagt Pfarrer Jagsch: Wie die kleinen Linden und Kastanien von ehemals jetzt schattenreiche Bäume geworden sind, so sind auch des Werkes-Räume gewachsen. Noch steht das alte Fabrikgebäude von 1839, aber um dasselbe erheben sich neue Bauten. Zu den Kesselhäusern ist ein neuer Güterschuppen gekommen, der alte Schornstein ist durch einen entsprechend größeren ersetzt worden. Ein geschmackvolles Verwaltungsgebäude gewährt den zahlreichen Beamten ihre Arbeitsplätze, in den Fabrikhof hinein führt ein Gleis der Schönfeld—Geyerschen Schmalspurbahn, und ein Automobil durcheilt Städte und Dörfer im Dienste des rastlosen Betriebes. Die Seele des Ganzen ist zur Zeit Franz Höffer, des Gründers Enkel und der Universalerbe der alten Höfferschen Geschäftstüchtigkeit. Vom Vater erzogen zur Pflichttreue und ernster Arbeit, in England geschult für die Aufgaben des Weltverkehrs, gereift in langjähriger Erfahrung, erfüllt von den hohen Aufgaben seines Berufes, so führt er das weitverzweigte Werk vollsten Vertrauens würdig. Unter seiner Leitung arbeitet im Geschäft neben erprobten, geschäftstüchtigen, kaufmännischen Beamten der einzige Sohn Erich Höffer, auf ihm steht die Zukunft.
Tannenberg wäre kein erzgebirgisches Dorf gewesen, wenn nicht darin von Mann und Weib, von Kind und Greis geklöppelt wurde. Wie jedoch das Spinnrad kaum dem Namen nach noch gekannt wird, so ist auch das Klöppelkissen in die Rumpelkammer gekommen, Maschinen ersetzen die Menschenhand.
„Ein tätiger Geist, eine sinnige Hand, sie ziehen den Segen in’s Vaterland“, das gilt heutzutage von der Klöppelmaschine. Die Firma Hermann Lißner beschäftigte vor dem Weltkriege bis 100 Arbeiter in der Fabrik und mit Heimarbeit, und Karl Hartmann, Sohn und Schwiegersohn, befassen sich ebenfalls mit dem Herstellen von Posamenten. Herr Hermann Lißner betrauert eine erhoffte Stütze, indem am 11. Februar 1918 sein Sohn Fritz Lißner bei Briemont in der Champagne den Heldentod erlitt. Balduin Schreiber und Beier führten die Zigarrenfabrikation in Tannenberg ein, welche heute noch einer reichen Anzahl von Arbeitern und Arbeiterinnen das tägliche Brot verschafft. Herr Balduin Schreiber hat im Jahre 1881 die Zigarrenfabrik gegründet. Das Unternehmen wuchs, so daß sich die Errichtung eines stattlichen Fabrikgebäudes im Jahre 1910 notwendig machte. Zur Zeit wird das Unternehmen von Herrn Balduin Schreiber, welcher am 16. April 1850 in Tannenberg geboren ist, geleitet. Herr Victor Schreiber unterstützt seinen Vater in der Leitung der Fabrik. Leider ruht eine weitere Stütze des Unternehmens, Herr Fritz Schreiber, mein einstmaliger lieber Schüler, als Verteidiger der Heimat in fremder Erde.
Ein Rückschlag in der Entwicklung der Industrie blieb nicht ausgeschlossen. Denn als 1847 schwere Not das Gebirge heimsuchte, versorgte der Tannenberger Fabrikherr Eli Evans, der Sohn des Evan Evans, Tannenberg und Geyer mit Gemüse und Mehl, um sie zu wohlfeileren Preisen den bedürftigen Gemeindemitgliedern zukommen zu lassen. Auch gab Eli Evans Veranlassung zum Urbarmachen der Kolumbiafelder am Abhange des Schlegelwaldes in Geyer. Den Grundstock zu diesem Unternehmen bildete eine von Prof. Dr. Lieber in Kolumbia in den Vereinigten Staaten Nordamerikas veranstaltete Geldsammlung zu Gunsten des notleidenden Erzgebirges. Mit dieser Summe entlohnte man die arbeitslosen Erzgebirger, welche den Wald rodeten und das Gelände der Landwirtschaft zuführten. So entstanden die Kolumbiafelder westlich von Walthershöhe in Geyer und die Neue Wiese im Grunde des Greifenbachtales. Noch vor Ausbruch des Weltkrieges aber bepflanzte man einige der urbargemachten Felder wieder mit Fichtenbestand, die Landwirtschaft ging so zurück, daß man nur mit Mühe Pächter des Geländes fand.
Die Verwendung der Dampfkraft beim Maschinenspinnen, das mühsame Herbeischaffen der Materialien und andere vom Besitzer der berühmtesten Spinnerei Sachsens nicht verschuldete Uebelstände verursachten einen Niedergang der Evanschen Spinnerei. Der unermüdlich tätige Eli Evans, wohlbekannt in der Frankfurter Paulskirche, im sächsischen Landtag und im Norddeutschen Reichstag ist hochbetagt im Sommer 1882 zur ewigen Ruhe eingegangen. Seine irdische Hülle liegt auf dem Tannenberger Friedhof bestattet.
Die Landwirtschaft lohnt nicht mehr, das Ausland überschwemmt die Heimat mit billigem Brotkorn, nur die Industrie bringt Gewinn, das war das Feldgeschrei seit der Mitte des verflossenen Jahrhunderts. Ihm ist das nahe 600 alte sächsische Acker große Tannenberger Rittergut zum Opfer gefallen.
Nach dem am 7. Februar 1894 erfolgten Tod des Rittergutsbesitzers Bernhard Kreißig ging das Gut in die Hände des Herrn Karl Friedrich Grund über, den Inhaber der alten und wohlrennomierten Posamentenfirma Carl Grund und Comp. in Buchholz. Herr Grund nahm die Verbesserung des Gutes energisch vor, ließ den Wald zum Teil neu aufforsten, sowie durch einen erfahrenen Forstmann in gleichmäßige Abteilungen bringen. Er vergrößerte das Gut durch Wiedererwerb früher davon wegverkauften Grundstücke, setzte die Spiritusbrennerei sowie eine zum Gute gehörige Holzschleiferei wieder in Gang, so daß das Gut in demselben guten Kulturzustand sich befindet, dessen es sich früher erfreute. Mitten in dieser schaffensreichen Tätigkeit ereilte am 20. Mai 1898 den Rittergutsbesitzer und Großkaufmann Karl Friedrich Grund ein früher Tod. Das Gut ging in die Hände seines Schwiegersohnes Karl Anton Rudolph über, der eine zeitlang den Rittersitz in hergebrachter, vorzüglicher weise bewirtschaftete. Die Gesindelöhne stiegen, der Ertrag der Fluren wurde verhältnismäßig gering bezahlt. Der Arbeiter suchte lieber eine Fabrik auf, als auch Sonntags als Knecht oder Magd beim Bauersmann sich plagen zu müssen. Dazu kam für Herrn Rudolph die geteilte Tätigkeit, ein Gut zu bewirtschaften und gleichzeitig einem größeren Handelsgeschäft vorzustehen. Dies alles bestimmte Herrn Rudolph, das ganze Rittergutsgelände mit Wald bepflanzen zu lassen, sodaß der gesamte Grundbesitz in 236 Hektaren Waldboden und 11½ Hektaren Wiesengelände besteht. Im Januar 1910 gingen Wohn- und Wirtschaftsgebäude nebst der sogenannten Ochsenwiese und Turmruine für 30.000 Mark in die Hände der Dorfgemeinde Tannenberg über. Dienstraum für das Gemeindeamt nebst Wohnung des Vorstehers, Lehrerwohnungen, auch sonstiger im Dienste der Gemeinde stehender Beamten fanden unter dem Dache des ehemaligen Rittergutshofes gastliche Aufnahme. Von einem am Ende des Dorfes neuerbauten Forsthause aus werden jetzt die Rittergutswälder bewirtschaftet.
Am 1. Osterfeiertag des Jahres 1920 wurde die erneuerte Kirche durch einen feierlichen Gottesdienst geweiht. Damit ist ein Werk der Erneuerung zum Abschluß gebracht worden, das fast 1½ Jahre in Anspruch nahm. Mit der Beschaffung eines neuen Geläutes fing es an. Schon dazu waren umfangreiche Arbeiten erforderlich, da die Turmuhr etwas tiefer gestellt und wegen der Größe der neuen Glocken, ein neuer Glockenstuhl eingebaut werden mußte. Das Nächste war der Einbau einer Niederdruckdampfheizung, die, von der Firma Paul Wachter in Thum geliefert, schon vorhergehenden Herbst fertiggestellt worden ist und ausgezeichnet funktioniert. Gleichzeitig war bei der Fa. Schmeißer in Rochlitz eine Orgel mit 18 Registern in Auftrag gegeben worden, die nach vierwöchentlichem Einbau geweiht werden konnte. Sie ist nach dem Urteil des Sachverständigen wie aller Zuhörer ein Meisterwerk geworden, in ihren zartesten wie ihren stärksten Stimmen von hervorragender Wirkung. Auch äußerlich ist sie eine Zierde des Gotteshauses, da ihr von Architekt Basarke in Chemnitz entworfenes Gehäuse sich harmonisch in das Ganze fügt. Durch Verlegung der Bälge auf den Kirchboden ist es möglich geworden, die Orgel soweit zurückzurücken, daß der Platz auf der Orgelempore bedeutend vergrößert worden ist. Auch einige bauliche Veränderungen waren durch den Orgeleinbau notwendig geworden. Da der Gang weggefallen ist, der bisher an der Orgel vorüber in den Turm führte, mußte ein neuer Aufgang zum Turm geschaffen werden, der in Gestalt einer Holztreppe an der Westseite des Turmes nunmehr ebenfalls fertiggestellt ist. Endlich aber machte sich auch die Erneuerung des Kircheninnern notwendig, an dem seit vielen Jahrzehnten nichts Durchgreifendes mehr geschehen war. Durch den Dresdner Maler Trede ist daher nach den Plänen des Architekten Kandler in Klotzsche das gesamte Kircheninnere mit bedeutendem Geschmack und in vorzüglicher Anpassung an den einfachen und schlichten Charakter der Kirche ausgemalt worden. Besonders hervorzuheben ist die wappengeschmückte Fassade der Rittergutskapelle und die reichgeschnitzte Kanzel.