Tannenberg im Erzgebirge (2)

Vorlesung in der Chemnitzer Volkshochschule, gehalten von Oberlehrer Hermann Lungwitz, Geyer (Sa.).

(Fortsetzung aus Nr. 46 der „Erzgebirgischen Heimatblätter“.)

Illustrierte Wochenbeilage der „Obererzgebirgischen Zeitung“. Nr. 50 – Sonntag, den 8. Dezember 1929, S. 3

Unter den Besitzern des Tannenberger Rittergutes sind die Hörnig tüchtige Wirte gewesen, wie ein im Besitz des Dresdner Lehnhofes befindlicher Anschlag aus dem Jahre 1794 über den Wert des Gutes bezeugt. Allen Aus- und Einnahmen muß vorausgeschickt werden, daß ich als Wertmesser den Preis eines Rindes in damaliger Zeit zu 4 Taler, d. i. 12 Mk., angesetzt habe. Als Einnahmen werden angeführt:

57 Taler 6 GroschenGeldzinsen,
40 TalerWalpurg- und Michaeliszinsen,
95 Taler 11 GroschenFrondienste,
186 TalerMühlen- und andere Pacht,
100 TalerBraunutzung,
28 Taler 12 GroschenPochnutzung,
225 TalerSchäfereinutzung,
95 TalerRindviehnutzung,
200 TalerWald- und Holznutzung,
50 TalerFischereinutzung,
100 Taleran Korn,
128 Taler 12 Groschenan Hafer,
100 TalerOber- und Erbgericht,
150 Talerdie Gärten- und Wohngebäudenutzung.

Als außergewöhnliche Einnahmen sind unter andern noch angesetzt:

1 Taler 19 GroschenWasserzins von der Letzschen (Letzschmühle),
4 TalerPachtzinsen vom Geyerschen Bergwerk,
100 Talervon der Papiermühle,
12 Talervon der Schmiede,
30 Talerder Zainhammer.

Als Inventar wollte Herr Hörnig dem Gute nur wenig hinterlassen, nämlich:

  • 12 Stück Kühe,
  • 400 Schafe,
  • 4 Ochsen,
  • 3 Pferde,
  • 2 Wagen,
  • 3 Eggen,
  • 2 Pflüge,
  • 3 Haken,
  • 1 kupferne gute Braupfanne, ingleichen das völlige Braugeräte, Wohngebäude, Gärten, Papier- und Mahlmühle, Schenke und Schmiede.

Verschiedene Nachträge aus dieser Uebersicht ergeben, daß die Untertanen unter andern 48 Tage im ganzen, d. h. Jedes Fröners Tag zählte besonders, zum Flachsjäten und 40 Tage zur Schafschur zu erscheinen hatten. Ebenso mußte das ganze Dorf jährlich 40 Stück halbgrobes und halbflachsenes Garn spinnen ohne irgend welchen Lohn dafür zu empfangen. Zur Fischzucht waren 12 Teiche mittlerer Größe vorhanden, besonders wurden Karpfen und Forellen gezüchtet. Die niedere Jagd, die Bergwerksregalien und das Jus patronatus gehörte zu dem mit Mann- und Weiberlehen versehenen Rittergut Tannenberg. Auch über die Anlage des Herrenhauses und der Wirtschaftsgebäude, welche wiederholt vom Feuer zerstört worden sind, zuletzt am 13. August 1883, lassen die Hörnigschen Aufzeichnungen einiges schließen.

Hart lasteten auf den Bauern, dem damaligen Arbeiterstande, die Frondienste. Wie es in Tannenberg damit stand, so war es in jedem Dorfe des großen Deutschlands, wo ein Bevorzugter das Kulturland innehatte. Da kam Abhilfe, die Errungenschaften der großen französischen Revolution von 1789 und die Erfindung von Maschinen, welche die Arbeit der Menschenhand, so gut es ging, ersetzten. Wohl zweitausend Jahre hindurch wurde die zur Bekleidung nötige Faser durch eine Spindel zusammengedreht. Auf einem pompejanischen Bilde sieht man Penelope mit einer Spindel in der Hand den heimkehrenden Odysseus an der Pforte ihres Heimes erwartend. Noch vor 50 Jahren sah ich vornehme Neapolitanerinnen mit der Spindel Seide spinnen. Als hätte nicht der Steinmetz und Bildschnitzer Johann Jürgens im Dorfe Watenbüttel bei Braunschweig im Jahre 1530 die Flügelspindel erfunden, woraus sich das deutsche Flachsspinnrad entwickelte. Man unterschied das Handspinnrad und das Tretspinnrad. Im sächsischen Erzgebirge war das Tretspinnrad heimisch, worauf ich in meiner Kindheit, welche ich in dem Kirchdorfe Erlau verlebte, noch gesponnen habe. Wann im Gebirge das Spinnrad die Spindel verdrängte, ist nicht bekannt, die neue Maschine wird sich allmählich eingeführt haben. Im Anewander Schöppenbuch in Nordböhmen heißt es in einem Hauskaufkontrakte vom 28. Juni 1681 ausdrücklich: „Der Verkäufer bedingt ihm (sich) aus frey Herberig in der stuben und ein spinnrat frey zu setzen.“ Der Uebergang zur rein maschinellen Spinntätigkeit bestand nun darin, daß der Antrieb durch Hand- oder Fußbewegung, später auch das Ausziehen der Spinnfasern durch die Hand, durch die Maschine selbst geschah. Die Vollendung des Spinnapparates war englischen Ingenieuren vorbehalten. James Watt hat 1738 versucht, das Ausziehen der Spinnfäden durch geriefte Walzen statt durch die Hand der Spinnerin zu erzielen, und vor 160 Jahren, am 3. Juli 1769 erhielt Richard Arkwrigt das Patent für eine mit Wasserkraft getriebene Spinnmaschine, welche der Spinnindustrie den größten Aufschwung verschaffte. An Stelle der Handarbeit war die Ausnutzung und Verwertung einer Naturkraft getreten. Der Weg zur Industrialisierung des Spinnens war gegeben, die mechanische Spinnerei wurde später durch Benutzung der Dampfkraft und neuerdings der Elektrizität, aber mit Beibehalten derselben konstruktiven Eigentümlichkeiten eine der wichtigsten Erwerbszweige für ganze Bevölkerungsklassen aller Erdteile.

Fragen wir, was hat das alles mit unserm Dörflein Tannenberg zu tun? Auf Tannenberger Gebiet, im Ortsteil Siebenhöfen, errichtete 1812 der Vater der sächsischen Baumwollspinnerei, Evan Evans, die erste Musterspinnerei des Sachsenlandes.

Als die Kontinentalsperre schwer das heimische Gewerbe bedrückte, die Baumwolle wieder über Wien aus Mazedonien aus den Balkanländern und Kleinasien bezogen werden mußte und die feineren südamerikanischen Baumwollsorten nur auf dem ungeheuren Umweg über Archangelsk am Weißen Meere nach Sachsen gelangten, übergab Evan Evans im Oktober 1812 seine in Siebenhöfen im Laufe dreier Jahre errichtete imposante Baumwollspinnerei dem Betriebe. Siebenhöfen, der Tannenberger Ortsteil, wird in Urkunden „die sieben Mannen unterm Geyer“ genannt, und in der Tat kann man heute noch die sieben Gehöfte unterscheiden. Die von Evans benutzte Wasserkraft war der Geyersbach, welcher der Zschopau zueilt. Schlösser und Burgen umsäumten in alten Zeiten die Zschopau und ihre Zuflußbäche, heute sind es Hochburgen der Industrie, die Spinnereien, deren Räder der eilende Lauf der Fichtelbergstochter in Bewegung setzt.

Die ersten Baumwollmaschinenspinnereien in Chemnitz und Umgebung sind von Joh. Phil. C. Wöhler in Chemnitz und Karl Friedrich Bernhard in Harthau errichtet worden. Wöhler erhielt am 11. Oktober 1799 von der Regierung ein „Privilegium exclusivum“ auf zehn Jahre unter Benutzung der Watermaschinen an der Stelle, wo jetzt in Chemnitz die Sächsische Webstuhlfabrik sich befindet, eine Spinnerei zu errichten, deren Spindelzahl Michaelis 1800 342 betrug. Bernhard in Harthau, welcher am 6. November 1798 ebenfalls das Privilegium erhalten hatte, benutzte die Mulemaschine, deren Göpel durch Maultiere in Bewegung gesetzt wurde. Seine Spinnerei, von 1796 – 1798 erbaut, hatte anfangs 620 Spindeln. In den mannigfach vergrößerten und umgebauten Gebäuden in Harthau befindet sich jetzt die Sächsische Kammgarnspinnerei. Das Wohngebäude, von dorischen Säulen flankiert, scheint Evans als Modell bei der Errichtung seiner Spinnerei in Siebenhöfen gedient zu haben, da auch das Portal der Siebenhöfener Spinnerei große Aehnlichkeit mit dem Harthauer Bau aufwies. K. F. Bernhard, der bei seinem längeren Aufenthalt in Manchester das Maschinenspinnen kennen gelernt hatte, veranlaßte den Mechaniker Evan Evans aus Llangellidt in Nord-Wales im März 1802 nach Harthau überzusiedeln und sein Wissen und Können in der von den Gebrüdern Bernhard geleiteten Spinnerei zu betätigen.

(Fortsetzung folgt.)