Eine Buchholzer Sage im Lichte neuzeitlicher Forschung.

Von Dr. Siegfried Sieber, Aue.

Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt. Tageblatt Annaberger Wochenblatt. Hauptzeitung des Obererzgebirges. Nr. 2. 129. Jahrgang. 12. Januar 1936. S. 1 – 2.

Historische Zeichnung
Die Katzenmühle in Buchholz um 1800. Rekonstruktive Zeichnung von Friedrich Voigt-Buchholz. (Aus I. E. S. Nr. 5/1927.)

Die Sage von der Katzenmühle in Buchholz, die wiederholt bearbeitet, auch von Walter Schäfer neuerdings in seinem hübschen Sagenbuch „Im Zauber des Miriquidi“ anmutig erzählt worden ist, hat neuerdings zu einer bemerkenswerten volkskundlichen Untersuchung gedient. Übrigens ist eine ähnliche Sage auch aus Ehrenfriedersdorf bekannt.

Sie lautet in der bekannten Fassung in Meiches Sagenbuch folgendermaßen: Bei Buchholz befindet sich eine Mühle, welche noch jetzt die Katzenmühle von folgender Begebenheit her genannt wird. Im 15. Jahrhundert soll daselbst ein wohlhabender Müller gelebt haben, der auf den Gedanken kam, sein Haus durch den Anbau eines Stalles zu vergrößern. Kaum war derselbe fertig und die Mülleresel, denn für diese war er bestimmt, eingezogen, so mußten die armen Tiere auch wieder heraus, denn der Teufel hatte hier seinen Sitz aufgeschlagen und litt sie nicht darin. Zwar versuchte ihr Herr anfangs sie mit Gewalt wieder hinein zu bringen, allein wollte er sie nicht von dem Bösen zerrissen sehen, so mußte er wohl oder übel dem letzteren den Stall allein überlassen, und derselbe trieb nun darin jede Nacht sein Wesen mit Poltern und Rumoren, daß dieser Teufelslärm oft sogar das Geklapper der Mühlräder übertönte. So verging manches Jahr. Da pochte es einst im tiefen Winter, als alles schon im Schlafe lag, an das verschlossene Tor, und als der schlaftrunkene und übelgelaunte Müller fragte, wer denn so spät noch Einlaß begehre, da erfuhr er, daß es zwei Bärenführer seien, die mit ihren Bären von Cunersdorf herübergekommen wären und Obdach suchten. Nun war er im ganzen ein gastfreier Mann und gewährte ihnen also ihre Bitte; allein für ihre Tiere behauptete er keinen anderen Aufenthaltsort zu haben, als den Stall, wo der Teufel seinen Sitz aufgeschlagen. Das kümmerte aber die Bärenführer nur wenig, sie meinten, er solle denselben nur öffnen, ihre Bären würden sich den Bösen schon vom Halse zu halten wissen. Der Müller tat, wie ihm geheißen, und glaubte nun, nachdem er ihnen die Sache gesagt habe, keine Schuld zu haben, wenn die Bärenführer am anderen Morgen ihr Vieh tot fänden. Er ging also zu Bett und wartete der Dinge, die da kommen sollten. Als nun die Mitternachtstunde schlug, da erhob sich in dem Stalle ein greulicher Lärm, wie er ihn noch niemals gehört hatte; es war ein Stoßen und Balgen, ein Brummen, Brüllen, Kreischen, daß ihm das Herz im Leibe zitterte. Indes waren aber auch die Bärenführer von dem Mordspektakel aufgewacht, und man beschloß, nachzusehen, ob denn die Tiere noch am Leben seien. Allein wie staunten sie, als sie, nachdem die Tür geöffnet war, die Bären ganz ruhig an ihren Tatzen saugen, den Teufel aber in Eile verschwinden sahen! Darob freute sich der Müller nicht wenig. Er setzte also den Bärenführern noch ein treffliches Frühstück zum Abschied vor und gab ihren Tieren einen derben Sack voll Brot mit auf den Weg, um sich für ihre erfolgreiche Bekämpfung des Teufels dankbar zu zeigen. Wirklich ließ sich seit diesem Tage der Teufel in dem Stalle nicht mehr spüren, und so konnten denn die Mülleresel ruhig wieder in denselben einziehen. Da traf es sich, daß einst am späten Abend, als der Müller eben nach Hause kam, der Gottseibeiuns in seiner fürchterlichen Gestalt plötzlich vor ihm stand und sprach: Ei sagt mir doch, sind denn die beiden großen Katzen noch im Stalle drin? – „Ja freilich“ antwortete jener, „die Katzen sind da und bleiben da.“ Da verschwand der Böse mit grimmigem Brüllen in den Wald und ward seitdem nicht mehr gesehen; der Name Katzenmühle blieb aber dem Orte bis auf unsre Zeit.

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Daß diese Sage auffällig weit verbreitet war, wußten schon ältere Forscher wie z. B. Jakob Grimm, Uhland, Mone, Wackernagel, von der Hagen und andre berühmte Germanisten. Nachdem neuerdings auch Friedrich Sieber, J. Bolte und der Norweger Christiansen weitere Funde gemacht haben, ergibt sich folgende Verbreitung: In Sachsen sind außer Buchholz und Ehrenfriedersdorf Fundstellen in Bischofswerda, Großenhain, Zschorna und anderen Orten festgestellt. Die Lausitz ist sehr reich an solchen Sagen. Dann finden wir das Motiv in Schlesien, Galizien, den Sudetenländern, den Karpathen, wo in Deutsch Proben der Wassermann die Rolle des Teufels spielt, in Tirol, Kärnten, Schwaben, Thüringen (Altenburg und Sonneberg) und der Oberpfalz, in Hildesheim, Bad Grund im Harz, auf Rügen, dann in Dänemark, Schweden, mit 55 Orten in Norwegen, in Finnland, Estland und selbst in der Stadt Perm am Ural. Insgesamt sind jetzt über hundert Fassungen der Sagen bekannt, weitere werden bestimmt bei künftiger Nachforschung noch auftauchen. Der Kern ist überall der gleiche, nur daß statt des Teufels der Wassermann, ein Nix oder Kobold, ein Puck oder Zwerge, in Norwegen die Trolle des Dovrefeldes, in den Alpen der dort so beliebte „Wilde Mann“, recht häufig aber ein „Schrätel“ die Behausung unsicher macht. Unter dem alten Wort Schrätel hat man einen wilden, rauhen, zottigen Waldgeist zu verstehen. Der Name erscheint schon 1290 in einem höfischen Gedicht über unsre Sage, das dem böhmischen Minnesänger Heinrich von Freiberg zugeschrieben wurde, aber wohl nicht von ihm stammt. Der Gegner des Schrätels ist überall ein Bär, mancherorts, so auch in erwähntem mittelhochdeutschen Gedicht, ein Eisbär, in Deutschland sonst meist der Meister Petz, der braune Tanzbär. Fast allen Fassungen gleich ist auch die Frage des verjagten Dämonen, ob denn die große Katze noch da sei. Man hat früher gemeint, die Sage tauche zuerst 1290 auf und nehme Bezug auf einen erstmalig nach Europa gebrachten Eisbären. Aber schon 1030, im Gedicht „Ruodlieb“, wird ein Eisbär beschrieben, und die Grenzen der Verbreitung der Sage lehren, daß hier eine frühere Ueberlieferung wirksam gewesen sein muß.

Der neue Professor für Volkskunde an der Leipziger Universität, Bruno Schier, der aus Sudetendeutschland zu uns gekommen ist, veröffentlicht in den „Mitteldeutschen Blättern für Volkskunde“ einen Aufsatz über die Sage vom Schrätel und Wasserbären und zeigt auf einer Verbreitungskarte, daß in dem großen Bereich der Sage auch andere auffällige Kulturmerkmale sich finden, besonders im Bau des Hauses und des Speichers in älteren Zeiten, aus denen zu schließen wäre, daß hier die nordgermanisch-ostgermanische Kulturgemeinschaft sich auswirkt, zu der eine starke Ueberschichtung durch die Slawen kommt. Nirgends überschreitet die Sage die alte Grenzlinie der Slawen im Mittelalter, den Limes sorabicus, nach Westen zu, ist übrigens dort verbreitet, wo die altgermanische Kultgemeinschaft der Ingwäonen wohnte, und durch die Ostgermanen, bei denen sie sich wohl in ihren Grundzügen ausgebildet hatte, auf die Slawen übertragen. Die später wieder nach Ostdeutschland vorstoßenden Siedler lernten den Stoff wohl erst wieder durch die Slawen kennen. Die Nordgermanen hatten ihn schon früh über Skandinavien, Finnland und die Baltenländer ausgebreitet. Die höchste Gestaltung erhält der Sagenstoff dann durch die mittelhochdeutsche Dichtung. Schier schließt mit den Sätzen: „Die Ausbreitung unserer Sage muß also jener frühen Zeit der ostgermanischen Wanderungen angehören, welche auch die Uebereinstimmung dieser Gebiete in mundartlichen und namenkundlichen, in haus- und flurkundlichen, Merkmalen schuf. Wenn auch die verschiedenen Landschaften und Jahrhunderte der Sage ihre eignen Lieblingsgestalten und -vorstellungen einverleibten, so blieb doch in dem gesamten skandinavisch-osteuropäisch-alpenländischen Kulturbereiche ihr einheitlich-altertümliches Gepräge gewahrt.“

Möge diese treffliche Untersuchung einer erzgebirgischen Sage dazu anregen, der heimischen Sagenforschung wieder größten Wert beizulegen.