Das Erzgebirge eines der schönsten deutschen Mittelgebirge.

Von Max Wenzel.

Illustrierte Wochenbeilage der Obererzgebirgischen Zeitung. Nr. 41. — Sonntag, den 5. Oktober 1930, S. 2 – 3.

Prachtvolle Fernsichten über wellenförmige Höhenzüge, die sich kulissenartig durch- und hintereinander schieben, weite blumige Wiesenflächen, darüber verstreut weiße getünchte Fachwerkhäuschen, an denen sich die schwarzen Balken schmückend erheben — eingebettete Dorfschaften, dunkle Nadelwälder, die von den Höhen herabsteigen zu rauschenden Gewässern und diese auf ihrem Wege zum Tale schützend umsäumen; stolze Schlösser und verwitterte Burgen, umrankt von Sagen und Geschichten; mächtige groteske Felsgestalten und geologisch merkwürdige Gebilde; malerisch gelegene, gewerbefleißige Städte, denen die angrenzende Bergherrlichkeit noch deutlich zu Gesicht steht, industriereiche Orte auf breiten Höhenrücken hingelagert; tief eingeschnittene Täler, mit steilen, aus Wald und Fels gebildeten Hängen; Mühlen und Fabrikanlagen, die sich die Kraft der brausenden Gebirgswässer zunutze machen; düstere, einsame Hochmoore und Teiche; dazu eine biedere, treuherzige, anspruchslose, fleißige Bevölkerung — das ist das Erzgebirge, wie es viele Menschen lieben und gern aufsuchen.

Die Wertschätzung des Gebirges ist erst seit wenigen Jahrzehnten allgemein geworden. Als man die Kenntnis einer Landschaft nur aus Büchern schöpfte, kam der Ausdruck „Sächsisches Sibirien“ für das Erzgebirge auf. In Schullesebüchern, dem Meyerschen „Deutschen Volkstum“, im Konversationslexikon, ja noch im letzten Lehrbuch für den Kapitulantenunterricht konnte man lesen, daß in den rauhen Wäldern kein Singvogel niste, im Hausgarten keine Biene summe, außer spärlichen Kartoffeln gedeihe nur dürftiger Hafer und hartes Wiesengras für die Hauskuh. Man verallgemeinerte Notstandsjahre, wo der Mangel auch in anderen Gebirgen herrschte, und sah im Erzgebirge nur den Kamm, der in seiner höchsten Erhebung über tausend Meter hoch liegt und selbstverständlich die klimatischen und sonstigen Verhältnisse dieser Höhenlage aufweisen muß. Seitdem aber die Wanderlust die deutschen Naturfreunde auch in unser Gebirge trieb, hat man den Unsinn und Unfug der obenerwähnten Veröffentlichungen erkannt und das Erzgebirge aus seiner Aschenbrödelstellung befreit.

Und es lohnt sich, in unserem Gebirge zu wandern und zu weilen! Während es nach Süden ziemlich steil abfällt, dacht es nach Norden nur ganz allmählich ab. Daher liegen die Naturschönheiten des Nordabhanges nicht unmittelbar nebeneinander, sondern müssen aufgesucht werden. Wem dieselben sich aber erschlossen, den ziehen sie mit unwiderstehlicher Gewalt immer wieder in ihren Bann. Zu jeder Jahreszeit entfaltet das Gebirge seine eigenartigen Schönheiten. Wie reizvoll, wenn im Frühling die Wälder im frischen Grün der jungen Triebe prangen und nach der Schneeschmelze die Wasser durch weite Wiesenflächen oder über Fels und Stein springend und glitzernd zu Tal eilen. Wer in der heißen Sommerszeit Ruhe und Erholung sucht, wird beides in der stärkenden, reinen Luft der Höhen und im Schatten der Täler und Wälder finden. Wie prachtvoll leuchten im Herbst die waldigen Hänge, wenn aus dem dunkelgrünen Nadelwald die gelb- und rotgefärbten Buchenblätter herausblicken und die durchsichtige Atmosphäre von den Bergen entzückende Fernsichten gestattet! Und nun die Winterzeit im Gebirge! Es gibt im ganzen Reich und darüber hinaus wohl keinen Wintersportsmann mehr, der die Winterherrlichkeit unseres Gebirges nicht mit höchsten Worten priese.

Die Naturschönheiten des Erzgebirges liegen vorwiegend in den Tälern, die vom Kamm des Gebirges sich herabziehen. Die natürlichen Zugangsstraßen zum Kamm, der im Fichtel- und Keilberg sowie im Auersberg seinen Gipfel findet, bilden im Osten und Westen die Wasserläufe der Gottleuba und Müglitz, der Roten und Wilden Weißeritz, des Flöha- und Zschopautales, die Freiberger und Zwickauer Mulde.

Zahlreiche gute Straßen und Eisenbahnlinien ermöglichen den Verkehr zum und im Gebirge. Wo die Eisenbahn fehlt, wird sie durch Autobusverkehr ersetzt. An allen Orten findet man gute, bequeme und preiswerte Unterkunft, an den bevorzugten Stellen des Gebirges ist auch für jeden Komfort gesorgt, so daß sowohl der bescheidene Wanderer, wie auch der verwöhnteste Reisende befriedigt werden kann. An Naturschönheiten steht das Gebirge keinem anderen deutschen Mittelgebirge nach, aber seine landschaftlichen Besonderheiten machen es zum herzerfrischenden Wandergebiet, und es scheint wie kein anderer deutscher Gebirgszug zum Sommeraufenthalt geeignet.

Fröhlich rauschen die Fichten und singen die Vögel unseres Gebirges, und ein fröhliches Herz werden alle mit nach Hause nehmen, die sich auf kürzere oder längere Zeit unserer Bergheimat näherten!