Aus der Krinolinenzeit.

Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt. Tageblatt Annaberger Wochenblatt. Hauptzeitung des Obererzgebirges. Nr. 2. 129. Jahrgang. 12. Januar 1936. S. 5 – 6.

Seit Barbara Uttmanns Zeiten beherrscht die launische Mode das Wirtschaftsleben unserer Heimat. Ihre Licht- und Schattenseiten haben seit der Mitte des 16. Jahrhunderts das Wohl und Wehe des Obererzgebirges stärkstens beeinflußt. Posamenten und Spitzen hoben und senkten den Wohlstand, je nachdem die Mode dem Absatz günstig oder ungünstig war.

Historische Zeichnung
Straßenbild aus Annaberg um 1850. Buchholzer Straße Nr. 12, jetzt Goldschmied Karl Beyer. (Aus I. E. S. Nr. 13/1926.)

In unserem Erzgebirgs- und Altertumsmuseum wird eine Krinoline aufbewahrt. Sie erinnert an einen Abschnitt wirtschaftlichen Wohlstandes, der reichen Segen brachte. Leider nur für wenige Jahre. Als die Mode den Frauen die Krinoline diktierte, gründeten 1861 Thompson und Nettleton, zwei Amerikaner, in Annaberg eine Krinolinenfabrik. Die weiten Röcke, die über dem Reifengestell getragen wurden, waren überaus aufnahmefähig für Posamenten. Deshalb kamen die beiden Amerikaner nach Annaberg, um ihre Fabrikate an Ort und Stelle mit den Erzeugnissen der Posamentenindustrie zu versehen und fix und fertig nach Amerika zu exportieren. Höhepunkt dieser Mode war das Jahr 1865. Die Posamentenfabriken konnten den großen Bedarf kaum decken. Es bestand Mangel an Arbeitskräften. Der Wochenlohn für die besseren Arbeiten betrug 4 Reichstaler, eine für damalige Verhältnisse ganz ungewöhnliche Summe. Klöppelmaschinen, Mühlstühle und Chenillemaschinen liefen ununterbrochen. Nach einer Schätzung der Chemnitzer Handelskammer betrug der damalige Umsatz 2 Millionen Taler. Die Hälfte davon fiel auf Handarbeit!

Krinolinenfabrikation in Annaberg um 1865.

Die Herstellung der Krinolinen erforderte geräumige Hallen, um die bauschigen Ungetüme „montieren“ zu können. Thompson & Co. errichteten ihre Krinolinenfabrik wegen der Feuersgefahr ihrer Holzhallen vor der Stadt an der damals noch unbebauten Kleinrückerswalder Straße. Zwei langgestreckte Holzbauten von je 40 bis 50 m Länge entstanden und bald herrschte darin eifrigstes Leben. Unser Bild gibt eine anschauliche Vorstellung von der fleißigen Arbeit, die von geschickten Frauenhänden geleistet wurde. Im Hintergrund sehen wir einen eisernen Ofen aufragen. Vielleicht war er die Ursache des gewaltigen Feuers, das in der Nacht vom 27. zum 28. Juni 1886 die zwei hölzernen Fabrikhallen in Schutt und Asche legte.

Wilde’s Krinolinenfabrik vor dem Böhmischen Tor. (Nach einer Lithographie von Julius Wagner, Annaberg, aus I. E. S. Nr. 46/1926.)

Krinolinen wurden hier längst nicht mehr hergestellt. Das Korsett hatte sie verdrängt. Schon nach 1868 waren Krinolinen nicht mehr abzusetzen. Der unnatürliche Schnürleib, von der Mode diktiert, hatte einen vollen Sieg davongetragen. Thompson & Co. hatten ihr Unternehmen an Gustav Hermann Wilde verkauft und unter dem Namen Wilde’s Krinolinenfabrik sind die Gebäude den alten Annabergern noch heute bekannt. Dort betrieb H. Röhling eine Korsettfabrikation und der andere Teil der Baulichkeiten war an den Posamentenfabrikanten Hermann Weber vermietet.

Die Reste der Wilde’schen Krinolinenfabrik nach dem Brande. (Aus I. E. S. Nr. 44/1931.)

Am zweiten Kätsonntag des Jahres 1886 stürmte in der Mitternachtsstunde die Häuerglocke von St. Annen. Trotzdem die Feuerwehr schnell zur Stelle war und zahlreiche Spritzen aus der Umgebung zur Brandstätte eilten, war nichts mehr zu retten. Der Morgen des 28. Juni 1886 sah eine wüste Trümmerstätte. Die letzten Zeugen einer einst blühenden Industrie waren vernichtet.