(8. Fortsetzung.)
Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt. Tageblatt Annaberger Wochenblatt. Hauptzeitung des Obererzgebirges. 123. Jahrgang. Nr. 41. 13. Oktober 1929. S. 5
Um die Stadt Annaberg durch billige Zufuhr besser mit Holz zu versehen, ließ der Rat vom Jahre 1564 ab den Flößgraben erbauen, dessen Lauf man vom Ratswald bis zum Pöhlberg noch heute im Zuge des Flößgraben-Weges verfolgen kann. Den mühevollen Bau hat seinerzeit der Ratsherr und Markscheider Georg Oehder bis zu seiner Vollendung mit größter Umsicht geleitet, wie auch die Planungen hierzu hergestellt. Nach kaum zwei Jahren war der Bau vollendet, und trotzdem es die meisten Bewohner der Stadt und Umgegend bezweifelten, daß das große Werk, welches einem Kanalbau gleichkam, seinem Zweck entsprechen werde, wurde am 6. Juni 1566 das erste Wasser in den Flößgraben aus der Pöhla geschlagen und die ersten Klaftern Holz nach der Stadt geleitet, zur größten Freude und unter lautem Jubel der Bürgerschaft. Nachdem der hiesige Rat beim Kurfürsten August, der den vierten Teil zu den 4000 Gulden betragenden Baukosten beitrug, vorstellig wurde, „daß die Stadt ihr Holz, nachdem jenes bei Geyersdorf abgetrieben wäre, mit vielen Mühen anderweit beziehen müsse, und auch das Röhrwasser der Stadt durch den Flößgraben eine wünschenswerte Verstärkung erhalte“, erteilte Vater August die Bestätigung für diesen künstlich angelegten Wasserlauf.
Der Flößgraben nahm seinen Anfang im Pöhlatal am Fuße des Bärensteins, in der Nähe des sogenannten „Blechhammers“ bei Weipert, wenige Meter flußaufwärts von dem Punkte, wo man 1910 das Projekt des Annaberger Pöhlakraftwerkes beginnen wollte, das einen ähnlichen Kanal wie den „Flößgraben“ vorsah, jedoch mit teilweiser unterirdischer Stollenführung durch den Berghang bei Kühberg. In einer stark gewundenen Krümmung durch den Ratswald erreichte der Flößgraben sodann die Hochfläche zwischen Königswalde und Cunersdorf, um nunmehr als Miniaturausgabe des einst hier schwellenden Urstromes nach der Viehtrift am Pöhlberg zu fließen. Da, wo jetzt das Waldwärterhaus und das Sonnenbad stehen, nach der Geyersdorfer Seite zu, nahm der Flößgraben sein Ende und mündete in eine teichartige Erweiterung aus. Dies war der Holzhafen von Annaberg. Statt der Schiffe liefen hier in fast ununterbrochener Folge Rundhölzer über Rundhölzer aus den böhmischen und kursächsischen Grenzwäldern ein. Das Holz fand Verwendung als Feuernahrung für die zahlreichen Schmelzhütten, zum Gruben- und Häuserbau, zum Bau von Wasserröhren, als Brennholz für die Bewohner usw. An diesem Holzhafen stand auch das 1693 errichtete Flößerhaus, in dem der Holzvermesser und Floßmeister wohnte, der mit seinen Knechten das einlaufende Holz herausholte, aufstapelte und nach den Anweisungen des Rates verteilte. Der erste Annaberger Floßmeister hier hieß Hans Vogtmann. Nach ihm war es dessen Sohn, der aber später abgesetzt wurde, weil angeblich mit dem Holz „Schiebungen“ vorgekommen sein sollten. Bis zum Jahre 1844, also 278 Jahre lang, war der Flößgraben in Betrieb und hatte für Annaberg eine Bedeutung, wie sie jetzt der oberen Bahn gleichkommt, die fast genau dem Zuge des alten Grabens bis Kleinrückerswalde folgt. Seit 1884 liegt auf dem Grunde des Grabens der Rohrstrang der städtischen Wasserleitung.
Das Wasser des Flößgrabens wurde von der Pöhlberghöhe als Ueberlauf des Holzhafens der Pöhla wiederum zugeleitet, und zwar durch einen Bach, dessen Bett heute noch unschwer vom oberen Bahnhof bis hinab zu Lang’s Badeanstalt und dann weiter bis zum „Humpel“ zu erkennen ist. Dieser Bach speiste ehemals die Riesenburgteiche mit, sowie den Scheidebach (Grenzbach) zwischen Geyersdorf und Wiesa, der seit Aufhören des Flößgrabens nur noch ein schmales Quellwässerchen ist. Mit dem Scheidebach floß alsdann das Flößgrabenwasser dem Pöhla-(Platten-)tale und damit dem Mutterfluß wieder zu.
Obwohl 1844, also vor 85 Jahren, der Flößereibetrieb eingestellt wurde, indem der große Holzbedarf mit der fortschreitenden Lahmlegung des Silberbergbaues aufhörte, Kohlenfeuerung aufkam (mit Lastwagen von Zwickau zugeführt), die Häuser steinern und ohne Schindeldach gebaut wurden, so soll noch viele Jahre das Wasser im Flößgraben und in dem Flößteich am Pöhlberg gewesen sein, bis Ende der 50er Jahre der Zufluß am Bärenstein abgedämmt wurde. Seitdem ist der eigentliche „Flößgraben“ nicht mehr. Nur sein Bett ist noch zu sehen.
Dokter.
(Die Artikelserie wird fortgesetzt.)