Rund um den Auersberg.

(Schwarzenberg – Schwarzwassertal – Johanngeorgenstadt – Auersberg – Wilzschtalsperre – Kranichsee-Moor – Carlsfeld – Eibenstock – Muldental.)

Von Konrad Haumann-Leipzig.

Erzgebirgische Heimatblätter. Beilage der Obererzgebirgischen Zeitung. Nr. 49, Sonntag den 1. Dezember 1929, S. 1 – 2

Mich dürstete es wieder einmal nach dem Waldeszauber und der Höheneinsamkeit unsres Erzgebirges. Ein seidenblauer Sommertag. Mitten durch späte Erntearbeit, aber auch an zahlreichen Stätten der Industrie vorüber, fährt der Zug. Hinter Zwickau gehts muldentalaufwärts. Arm an Wasser fließt der Fluß durch seine romantische Berglandschaft. Diesmal soll es dem Auersberg zu Leibe gehen. Sind auch die Bergleute, die Pecher und Flößer aus seinem Gebiete verschwunden, so schwelt doch noch der letzte Kohlenmeiler, der letzte seines Gewerbes, in den Wäldern am Auersberg. Doch die grüne Waldeinsamkeit, der beseligende Zauber der Berge, ist geblieben, und die Fichten sprechen in den meilenweiten Wäldern eine ernste Sprache … In Schwarzenberg verlasse ich zu kurzem Aufenthalt den Zug. Im Wiesentale des Schwarzwassers zahlreiche Industriewerke. Das alte Schwarzenberg liegt fern vom Industrielärm auf Berghöhe beim Schloß. Die Straße buckelt empor. Droben schwarzschiefergepanzerte Hütten und Häuser. Allerlei Kleinstadtgerüche in den Gassen. Aus Drogerie und Hotelküchen. Am Markt das stattliche Rathaus zwischen einigen Barockhäusern mit Schweifgiebeln. Lebhafter Autoverkehr findet sich ebenso, als alte Erzgebirglerinnen, die mit Wurzelholz oder Gras in der Rückenkiepe alte Berggassen emportapfen. Die Schloßstraße mit ihren geschäftstüchtigen, bunten Häuserchen läuft zu Kirche und Schloß. Durch ein Mauerpförtchen der nicht weniger als das Schloß trutzhaften Stadtkirche betritt man das Kircheninnere. Die flache Decke der Kirche ruht nicht auf Säulen; dem Baumeister ist später über sein Werk so himmelangst geworden, fürchtete er doch, es könnte den frommen Kirchgängern eines schönen Tages über die Köpfe fallen, daß er freiwillig aus dem Leben geschieden sein soll. Seine Sorge war unbegründet – – nun steht die Kirche schon manches Jahrhundert! Recht merkwürdig muten die Verschläge mit ihren zahlreichen kleinen Glasfenstern an den Wänden an, die „Chöre“, allwo die Ratsherren und andere Familien von Stand dem Gottesdienst beiwohnen. — Der Kirche benachbart ist das stolze, ritterliche Schloß, das auf einem Felsvorsprung von drei Seiten vom Schwarzwasser umschlossen wird. Doch wo einst Schwertgeklirr zu hören war, klappern heute friedlicher die Schreibmaschinen in die Burghofstille – – das Schloß dient heute als Amtsgericht und Gefängnis. Von der Steinbrüstung hinter der Kirche blickt man ins betriebemsige, arbeitsame Tal hinab. Wäsche bleicht in den Berggärten. Berge, Wälder, Bergäcker schauen von allen Seiten auf das Städtchen herab. – Zum Rockelmann, einem wuchtigen Fichtenwaldberg, bin ich noch emporgestiegen. Ueberaus romantisch erblickt man von der Bank auf seiner Höhe das schwarzschieferne Bergstädtchen mit Kirche und malerischem Schloß in einen mächtigen Gebirgsrahmen gefaßt, in dem schwarzgrüne Bergwälder die Höhen bedecken und sich goldgrüne Aecker an steilen Berglehnen emporschwingen. Der Zug schnauft weiter im Schwarzwassertal empor gen Johanngeorgenstadt. Ein recht romantisches Tal! Wände von Fichten, Felsen, saftige Auen. Eine Holzschleiferei, ein Sägewerk reiht sich neben das andere. Herrlich ist die ständig wechselnde Szenerie des Tales, durch die sich bimmelnd und schnaufend die Bahn windet. Wo das Tal zu weitem Talkessel sich verbreitert, baut sich Johanngeorgenstadt am Hange des Fastenbergs auf. Der seidenblaue Sommertag ist verschwunden. Als ich die Berggassen emporsteige, beginnt es zu regnen. Man schaut von der Gasse aus in eine Werkstatt der Glaceehandschuhmacher, eine Industrie, die in Johanngeorgenstadt zu Hause ist. Die verregneten Gerggassen mit ihren kleinen Häuserchen bieten wenig Bemerkenswertes. Von besondrem Interesse ist jedoch die regelmäßige Anlage dieser Gassen, die entweder schnurgerade aus dem Tal den Berg emporklettern, oder ebenso gerade am Hange entlang laufen. Am kleinen Markt blühen jetzt erst die Linden, die drunten im Niederland längst verblüht sind. Zwischen Rathaus und Apotheke, Kaufläden und Bürgerhäusern stehen zwei Denkmäler und eine Postmeilensäule und auch ein Brunnen sprudelt in steinernem Becken. Die Exulantenstraße erinnert daran, daß die Stadt hart an der Grenze von Exulanten gegründet worden, die wegen ihres Glaubens aus Platten, der benachbarten böhmischen Stadt, auswandern mußten. Das war anno 1653. Es muß damals eine wüste Gegend gewesen sein, denn noch 1661 spazierte ein Wolf am hellen Tage zwischen den Hütten umher und Bären waren vor der Stadt keine Seltenheit.

Die Gassen glänzen regennaß, als ich die Bergstadt verlassend, den Auersberg zu wandere. Je höher die Straße emporsteigt, umso prächtiger wird die wuchtige Bergszenerie, die sich um Johanngeorgenstadt aufbaut. Eines der letzten Wahrzeichen einstigen Bergsegens ist der alte Pferdegöpel droben vor der Stadt, zu dem die große Sprungschanze herüberblickt. Zechenhäuser liegen einsam im Wiesengrunde. Die verregnete Straße ist menscheneinsam. Mir kann der Regen die Wanderfreude nicht trüben, wenngleich es sich im Sonnenschein fröhlicher wandern läßt! Ueberdies läßt der etwas hellere Himmel über der Auersberggegend – der Berg selbst ist nicht zu sehen – Hoffnung auf Aufhören des nassen Himmelssegens! Auf der Straßenhöhe wird der Fichtenwald erreicht, die Straße schwingt sich bergab – bald liegt die Handvoll Hütten von Steinbach waldumkränzt im Wiesengrün. Selbst die trübe Regenstimmung vermag nicht die Anmut dieses Dörfchens zu trüben. Da es mittlerweile „Schnürle“ regnet, flüchte ich zu kurzer Rast in den Gasthof. Befrackte Ober bedienen – die Zeche ist entsprechend angemessen! Als ich den Weg durch den schemengrauen Fichtenwald fortsetze, beginnt es bald wieder zu regnen, um nicht wieder aufzuhören bis zur Nacht! Ueber dem Forsthaus Sauschwemme biege ich in die Auersbergstraße durch den verregneten Fichtenwald ein. Er steigt jäh an wie eine Sprungschanze, so steil geschwungen. Meine Befürchtung, daß es eine kleine Himmelsleiter werden könnte, wie am Fichtelberg, ist unberechtigt – bald baut sich steingrau der Aussichtsturm des Auersberg direkt über der Straße auf. Viel schneller und bequemer als ich angenommen habe, ist das Unterkunftshaus erreicht. Schon beginnen die Nebel um die Gipfelfichten zu treiben. Drinnen in den sauberen Gasträumen eine ganze Anzahl Ausflügler, mit Kind und Kegel, die vom Regen überrascht wurden. Neue Gäste, dampfend vom Regen kommen gleich mir an, einige ohne Mantel, im Strohhut – na und so wurde es dennoch eine vergnügte Tafelrunde im Zwickauer Zimmer, in der Kanapee-Ecke unter den Bergmannsmützen und Bergmannsleuchtern. Laut klatschte der Regen draußen gegen die Fenster …

Berghaus
Auersberghaus mit neuem Anbau.

Graue, undurchdringliche Nebel brauen am andren Morgen um den Auersberg. Also ist es nichts mit der vielgerühmten Aussicht über das Meer von Bergesgipfeln, wegen der ich ja gerade gekommen bin! Das ist starker Tobak! Ich wandre hinab nach Wildenthal, der ältesten Sommerfrische des Erzgebirges. Wie feindliche Heerscharen wälzen sich die Nebelmassen das Bockautal aufwärts. Als ich im Ort bin, blaut der Himmel, warm scheint die Sonne und so wird doch noch ein guter Wandertag!

Ueber Weiters Glashütte, über Weiters Wiese wandre ich zum Kranichsee-Moor. Wandrer, die etwa in vier Wochen den gleichen Weg wandern werden, dürften Weiters Wiese dann vergeblich suchen. Das halbe Dutzend kleiner Erzgebirgshütten wird bereits abgebrochen. Im September wird sich die Bergwiese in einen weiten See verwandelt haben, in das Speicherbecken der Wilzschtalsperre, deren Staumauer bereits die Wiese abriegelt. Die Quellwasser der Wilzsch und der Abfluß des Kranichsee-Moores – man rechnet mit 3 Millionen Kubikmeter Wasser, werden künftig die Wasserversorgung Zwickaus speisen. Umgehungswege sind bereits gebaut – ich wandre noch den alten nassen Wiesenweg, denn diese Wanderung besitzt historischen Wert – zum Fichtenwalde hinüber, den mit dem blauen Kamm markierten Höhenweg. Es ist ein großes Heidelbeerparadies! Ich bücke mich ebenfalls recht oft zu bescheidner Ernte. Ein Wegweiser zeigt in der Waldeinsamkeit zum Kranichsee! Hinter den Fichten wird der Weg zum Knüppelpfad – das Moor ist erreicht. Seltsam ist der überraschende Stimmungswechsel. Die Fichten sind verschwunden – Kiefern sind an ihre Stelle getreten, verkrüppelte, am Moorboden hinvegetierende Sumpfkiefern. Auch der Knüppelweg hindert nicht, daß man einige Male bis über die Knöchel ins Wasser stapft! Gras, selbst Erika und Heilbeerkraut mit ganz besonders großen Beeren, wachsen zwischen den Kiefern. Jeder Schritt abseits vom Wege bringt nasse Füße! Libellen schwirren wie trunken umher. Von einem Aussichtsgerüst – die Treppe ist teilweise ausgebrochen und renovierungsbedürftig – überblickt man die Moorlandschaft, die rundum von Fichtenwald umkränzt ist. Drunten blinkt ein winziger Weiher, der Kranichsee. Eine schwermütige, vom Kieferngrün bedeckte Landschaft, unheimlich still, nur zuweilen von einem Vogelruf unterbrochen. – Dieses Moorgebiet „Krummholz“ ist bereits seit 1912 Naturschutzgebiet; es ist das ausgedehnteste sächsische Kammoor des Erzgebirges. Es soll bei voller Sättigung, soviel Wasser enthalten, daß es ein ganzes Jahr lang in jeder Sekunde 500 Liter Wasser liefern könnte. Das wäre ein Wasserreservoir von über 150 Millionen Kubikmeter! Inwieweit dieses Moorwasser des Kranichseemoores von der Talsperre aufgesaugt wird, wird die Zukunft lehren! – Jedenfalls ist es heute noch ein seltsames Stück Erzgebirgslandschaft, dieses Hochmoor an der Grenze!

Auf dem neuen Umgehungsweg wandre ich zwischen schweigsamen Fichten, nochmals an der Baustelle der Talsperre vorüber, gen Carlsfeld. Bald liegt der Ort in weitem Wiesental der Wilzsch anmutig zu Füßen. Die einfachen Erzgebirgshäuseln mit ihren Schieferdächern zerstreut am Hange oder um Dorfkirche und Glaswerk gruppiert, das dem Ort Arbeit gibt. Auch Uhrenindustrie wurde eingeführt, seitdem der Bergbau eingestellt wurde. Eine gar merkwürdige Dorfkirche hat Carlsfeld! Sie ist eine Miniaturnachbildung der Peterskirche zu Rom, achteckig außen, innen rund und besitzt wertvolle Bilder. Der Stifter dieser Kirche war der reiche Bergherr Schnorr von Carolsfeld. Die Wilzsch braust talab, Kinder spielen an ihren Ufern. Bergwiesen schauen hernieder. Sie sind gelb gefärbt vom Löwenzahn.

An der Dorfkirche führt der Weg steil am Wiesenhang aufwärts. Ein Abschiedsblick auf den so anmutig gelegenen Ort mit seinen Schieferhütten, über die ineinanderschneidenden Berghänge im Süden – dann nimmt mich der Frieden der sich bis Eibenstock streckenden Fichtenwälder auf. Der Weg schwingt sanft hügelauf, hügelab, Schneisen öffnen sich, hinter denen sich der Wald wie eine grüne Burg aufbaut, Heidelbeer- und Pilzsucher streifen durchs Beerenkraut. Kreuzschnäbel wispern. Der Sommertag raunt im Walde. Von Carlsfeld läuten die Mittagsglocken herauf. An einer Wegkreuzung lärmt ein kleines Wässerlein talab. Ich folge ihm. Es ist die Dömitz geheißen und das stille, lange Tal ist der Dömitzgrund. Was so ein Waldwässerlein alles zu schwätzen weiß! Selbst zwischen weichen Moospolstern lärmt es. Bei Eibenstock aus dem Walde herauskommend muß das winzige Wässerchen einem Sägewerk seine Kraft leihen.

Eibenstock . . . Alte blechgedeckte Hütten, verwilderte Gärtchen, Gemäuer am Bach. In solch kleinem Garten tanzen Mädels einen fröhlichen Ringelreihen. Rathaus und Kirche schauen von Berghöhe herab. Dann hört man Stickmaschinen rattern, Sägen kreischen. Eibenstock ist Hauptort der Perl- und Seidenstickerei – zahlreiche Firmenschilder weisen darauf hin. Vom Neumarkt klettert man zur Oberstadt empor, wo Rathaus und Kirche stehen. Die Kleinstadtgassen sind einförmig. An einem Hotel liest man die großaufgemachte, nach einem Weltkrieg indes wenig mehr erschütternde Inschrift, daß hier der sächsische König 1870 eine Depesche erhalten habe, wonach Frankreichs Kriegserklärung bevorstehe. An der Bergstraße steht ein altes Giebelhaus mit schönem Fries – man liest die Jahreszahl 1585; der angebaute Rundturm neueren Datums ist stilwidrig – schwülstig! Durch die Kleinstadtgassen knattern Autos und Motorräder. Ueberall aber schauen Wälder und Wiesen und Berge in diese Kleinstadtgassen herein. – Wahrhaft prachtvoll aber ist die Bergszenerie des Auersberggebietes, wenn man die Stadt verlassend, dem Muldental zuwandert.

Bei Wolfsgrün erreiche ich die Zwickauer Mulde, die in düstrem Tale zwischen hochaufsteigenden Fichtenmauern in romantischer Schönheit dahinplätschert. Obwohl sie allerlei Erzgebirgsbäche sammelt, ist sie dennoch fast wasserlos.

Die Bahn entführt den Wanderer von hier wieder dem Erzgebirge. Trotz der verregneten und vernebelten Auersberglandschaft ist die durchwanderte Erzgebirgslandschaft so reich an wechselnden Gebirgsszenerien und echtem Bergzauber, an stillen Fichtenwäldern und weiten Bergblicken, daß man reichbefriedigt und mit dem Wunsche „Auf Wiedersehen“ heimwärtskehrt.