Vorlesung in der Chemnitzer Volkshochschule, gehalten von Oberlehrer Hermann Lungwitz, Geyer (Sa.).
Erzgebirgische Heimatblätter. Beilage der Obererzgebirgischen Zeitung. Nr. 46 – Sonntag, den 10. November 1929, S. 2 – 3.
Sowohl in der Anlage des Dorfes selbst, als auch in der Verteilung der Fluren zeigt es sich, daß das Rittergut Tannenberg mit Feld und Wald die erste Ansiedelung des Ortes war, und zieht man weiter die Gründung der Nachbarorte in Betracht, so kann man Tannenberg getrost zu den ältesten Ansiedelungen dieses Teiles des Erzgebirges zählen. Das Rittergut Tannenberg war und ist schließlich heute noch ein Herrensitz, dessen Grund und Boden sich im allgemeinen vom Greifenbach bis zum Lohenbach, d. i. der Grenzbach zwischen Tannenberg und Hermannsdorf, erstreckt. Im Laufe der Zeit wurden Fluren für die Hörigen vom Gutsfelde getrennt, die Untertanen bauten ihre eigenen Gehöfte das Tal entlang und so entstand das Dorf. Um den Edelhof gruppierten sich nach und nach Kirche und Schule, Mahl- und Holzschneidemühle, Schäferei, Gasthof und Schmiede, und in späterer Zeit kamen Papiermühle und Pechsiedehaus hinzu. Das Pfarrlehn erscheint geradezu aus den Gutsfluren herausgeschnitten, ebenso die Felder der früheren Schäferei, und Mühle, Schenke und Schmiede sind erst 1849 aus dem Gutspacht in Privatbesitz übergegangen.
Das obere Erzgebirge wurde von den Meißner Niederungen aus besiedelt und der Bergbau war es, der diese Pioniere mit Fäustel und Eisen, Spaten und Axt in die damals noch recht unwirtlichen Gegenden führte. So erscheint auch Tannenberg als eine germanische Gründung. Es hieße dem Worte „Tannenberg“ wie das Dorf bereits in der ältesten Urkunde vom Jahre 1411 genannt wird, Gewalt antun, wollte man darin eine slavische Ansiedelung erblicken. Auch die angrenzenden Ortschaften Hermannsdorf und Schönfeld führen rein deutsche Namen, und Dörfel wird in den ältesten Urkunden „daz Dorfichin“ genannt.
Als Denkmal aus uralter Zeit steht der viereckige ungefähr 14 Meter hohe Turm neben den ehemaligen Rittergutsgebäuden, er ist jetzt noch von einem Wassergraben – von den Ortsbewohnern „Hofwall“ genannt – umgeben, der klägliche Rest der einstigen Wasserburg. Widar Ziehnert erzählt in Sachsens Volkssagen: Nahe bei den Rittergutsgebäuden des Dorfes Tannenberg bei Geyer steht ein uralter viereckiger Turm. Seine starken Mauern sind noch jetzt an die 30 Ellen hoch und von einem Wassergraben umgeben. Viel erzählt man von ihm, aber wenig Zusammenhängendes. In uralten Zeiten soll einmal ein Graf, der Besitzer dieser Gegend, eine große Jagd gehalten und sich dabei verirrt haben und mit seinem Rosse in einen Sumpf gesunken sein. Dem Tode nahe, wäre er noch von den Jägern mit Mühe gerettet worden und hätte zum Andenken den Turm gebaut. Jetzt noch soll in dem Turme der Geist eines der späteren Besitzer spuken, aber warum, weiß niemand. Auch wollen alte Holzhacker und Bergleute den Baum wissen, wo die Seele dieses unglücklichen Spukers eingespundet sein soll. Es wäre sonst ein eiserner Reifen um den Baum gelegt gewesen, um die Seele recht fest zu halten, aber Holzdiebe hätten zuletzt auch den Reifen gestohlen. Der betreffende Baum wurde die „Hörnigbuche“ genannt und war hohl.
Urkunden über die Zeit der Erbauung des Turmes, welcher Paßklausenturm genannt wird, sind nicht vorhanden. Nur Schlüsse können wir ziehen wozu uns die Stelle, an welcher der Burgturm errichtet wurde, einen Fingerzeig gibt. Der Erbauer kann das Beschießen seines Turmes gar nicht in Erwägung gezogen haben, sonst hätte er die unmittelbare Nähe eines turmhohen Hügels als Anlageplatz vermieden. Nun kamen die Schießwaffen im Kriege und zu Belagerungszwecken gegen Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts in Gebrauch, der Bruderkrieg liefert hierzu ein eklatantes Beispiel. Der Turm zu Tannenberg als Paßklause dürfte die Feuerprobe zuerst bei einem Hussiteneinfall bestanden und derselben seine hölzernen Anbauten verloren haben. Ziskas fanatisierte Scharen hatten den Kamm des Erzgebirges überklettert und hielten im Meißner Lande blutige Einkehr. Im Jahre 1427 waren sie in Schlettau und bei ihrer Wiederkehr am 29. August 1429 äscherten sie das Städtlein trotz der tapferen Gegenwehr der Bürger vollständig ein – und in demselben Jahre sind sie in Zschopau. Der Weg den Zschopaufluß entlang war ihnen vorgezeichnet, da es keine andere Straße gab. Daß diese wilden Gesellen die Paßklause in Tannenberg und die vorhandenen Gehöfte unbehelligt ließen, wer könnte dies glauben! Auch unser Tannenberg wird unter den zerstörenden Händen in Rauch und Flammen aufgegangen sein. Mit der Paßklause wurde die Burgkapelle zertrümmert, denn daß eine solche vorhanden war, ergeben die im Schutte der Burg 1770 aufgefundenen Ueberbleibsel einer zerbrochenen Glocke. Die Zwecklosigkeit, an dieser ungünstigen Stelle eine neue Burg aufzuführen, einsehend, begnügte sich der damalige Besitzer mit dem Aufbau der Wirtschaftsgebäude, und für die zerstörte Kapelle errichtete man oberhalb des Edelhofes ein Gotteshaus dessen Dienst ein Kaplan aus dem benachbarten Geyer vorläufig versah.
In dem rasch emporblühenden Annaberg bereicherten sich die Fundgrübner in kurzer Zeit. Die dem Schoß der Erde entnommenen Schätze setzten sie in den Stand, als Patrizier aufzutreten. Doch damit noch nicht zufrieden, warfen sie begehrliche Blicke auf die altangestammten Edel- und Herrensitze im Meißner Lande. Auch der Ratsherr Martin Schnee in Annaberg, welcher sich in der dasigen Klostergasse ein stattliches Haus erbaut, das hernach Leonhard Badeborn bewohnt und worin zur Zeit des Chronisten Richter des Rates Marstall Unterkunft gefunden hatte, resignierte auf seine Würde und kaufte gegen das Jahr 1520 den Edelhof Tannenberg. Aus dem Lehnbrief von 1524 geht hervor, daß das Dorf Dörfel nicht mehr zur Tannenberger Herrschaft gehörte. Dem neuen Lehnsmann wurde eingeschärft „rechte folge (Heerfolge) zu tun und sich damit als solche lehngutter (Lehngüter) althierkommen (Herkommen) und gewohnheit ist“ zu befleißigen. Der Sohn Martin Schnees, Christoph Schnee, leistete seinen ersten Ritterdienst im Jahre 1539 als Begleiter des Herzogs Heinrich auf seinem Zuge nach Regensburg auf den Reichstag, wo dessen Belehnung mit seines Bruders Herzog Georgs Landen durch den Kaiser am 2. Juli 1539 stattfand. Christoph Schnee ist auch Besitzer der Grundstücke in Geyer gewesen, welche später unter Hieronymus Lotter zu einem Rittergute erhoben wurde. Der kurfürstliche Baumeister und Leipziger Bürgermeister Hieronymus Lotter beschloß in Geyer sein bewegtes Leben. Er hatte die Wandelbarkeit der Fürstengunst in herber Weise erfahren, schwergekränkt zog er sich auf seinen Geyersbergischen Hof zurück. Aber auch das Glück schien dem einstmaligen reichen Leipziger Baumeister den Rücken gekehrt zu haben, die bergmännischen Spekulationen mißlangen, von den Seinen verlassen, legte Lotter am 24. Juli 1580 sein müdes Haupt für immer zur Ruhe. Auf meine Veranlassung ist eine schöne Straße der Stadt Geyer mit dem Namen „Hieronymus Lotterstraße“ bezeichnet worden. Der Verein der Leipziger Architekten errichtete ihm am 8. Oktober 1893 an seinem Sterbehause, dem Rittergutsgebäude in Geyer, eine Gedenktafel mit der Inschrift:
In diesem Hause starb
Leipzigs großer Baumeister
Hieronymus Lotter
im 83. Lebensjahre 1580.
Dem alten Meister
zu seinem Gedächtnis
Leipzigs Architekten 1893.
In der erneuerten Hauptkirche ist seit einiger Zeit das von Walter Witting gemalte Lotterbild aufgehängt worden. –